TKP – Zentral Komitee

Wir können kein Heilmittel und keine Hoffnung sein, ohne das Ziel des Sturzes des Kapitalismus zu betonen.

Rede von Kemal Okuyan, Generalsekretär der TKP, auf dem 22. Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien in Havanna, Kuba

Liebe Genossinnen und Genossen,
Im Namen der Kommunistischen Partei der Türkei grüße ich Sie mit den aufrichtigsten Gefühlen der Kameradschaft. Wir alle sind nach Havanna gekommen, weil wir wissen, dass dieses Treffen eine ganz besondere Bedeutung hat. Ich möchte der Kommunistischen Partei Kubas danken, die große Anstrengungen auf sich genommen hat, um die Errungenschaften der Revolution unter sehr schwierigen Bedingungen zu bewahren, und die dem Ideal des Kommunismus seit fast 70 Jahren eine einzigartige Energie und Dynamik verliehen hat.

Genossinnen und Genossen,
vor drei Jahren habe ich zum Abschluss unseres Treffens in Izmir gesagt, dass „Kommunist:innen in einer chaotischen Welt voller Ungewissheiten jederzeit mit Aufgaben und Möglichkeiten konfrontiert werden können, die sich aus sehr unterschiedlichen Entwicklungen ergeben“, und ich habe betont, dass dies sowohl große Risiken als auch Chancen mit sich bringen wird.

Nicht viele Monate nach diesem Treffen wurden wir mit der Realität von Covid-19 konfrontiert. Natürlich kann man die Pandemie als eine Katastrophe betrachten, die die Menschheit als Ganzes bedroht. Aber für Kommunist:innen ist Covid-19 ein Beweis für die Ohnmacht des Kapitalismus, dafür, wie die Marktwirtschaft die Menschheit an den Rand des Zusammenbruchs und des Verfalls gebracht hat und wie die internationalen Monopole eine Pandemie in eine wirtschaftliche und politische Chance für sich selbst verwandeln können.

Obwohl es in jedem Land einen Kampf gab, um die Rechte der Arbeiterklassen einzufordern, die Angriffe des Kapitalismus abzuwehren oder, wie im Falle Kubas, einen wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Widerstand gegen die imperialistische Belagerung während der Pandemie zu demonstrieren, ist es den Kommunist:innen, während der Pandemie zu demonstrieren, haben es die Kommunisten während der Pandemie leider versäumt, den Sozialismus als Alternative zu präsentieren.

Genossinnen und Genossen,
Die Pandemie ist vorbei, aber die ganze Welt befindet sich in einer Wirtschaftskrise; die steigenden Lebenshaltungskosten haben für Milliarden von Menschen oberste Priorität. In den Nachrichtensendungen wird darüber diskutiert, ob ein Atomkrieg bevorsteht oder nicht. Die Arbeiter:innen sind verzweifelt, die jungen Menschen sind hoffnungslos.
Die Kommunist:innen hingegen müssen das Heilmittel und die Hoffnung sein.
Wir können kein Heilmittel und keine Hoffnung sein, ohne das Ziel des Sturzes des Kapitalismus zu betonen. Wann immer die Kommunist:innen eine Lücke hinterlassen, kommen Rechtspopulismus, rassistische Bewegungen und sogar Faschisten, um sie zu füllen. Sie machen sich den Pessimismus in der Gesellschaft mit einem falschen Radikalismus zunutze.

Genossinnen und Genossen, die Verteidigungsstrategien der kommunistischen Bewegung über einen sehr langen Zeitraum hinweg sind am heutigen Scheideweg der Menschheit völlig zusammengebrochen. Die Tatsache, dass sich das Kräfteverhältnis in dieser Situation eindeutig gegen die Arbeiterklasse, gegen die revolutionäre Bewegung richtet, rechtfertigt diese Strategien nicht, sondern verurteilt sie im Gegenteil. Unabhängig davon, wie schwach die kommunistische Bewegung in den einzelnen Ländern ist, sind wir heute verpflichtet, die Alternative des Sozialismus konkret und realistisch zu machen.

Was die TKP in der Türkei zu tun versucht, ist genau das.

Unser Land ist ein Land, in dem Putsche, politischer Islam, Faschismus und Militarismus seit Jahren die Oberhand gewinnen. Unter diesem Gesichtspunkt muss in der Türkei zuerst die Demokratie aufgebaut werden. Die Demokratie kann jedoch nicht in der Türkei, die von einer starken kapitalistischen Klasse und mächtigen Monopolen beherrscht wird, aufgebaut werden. Wir wissen, dass es eine Kapitulation vor der Diktatur des Kapitals bedeutet, wenn man den Sozialismus aufschiebt, indem man sagt, zuerst die Menschenrechte, zuerst die Demokratie, zuerst der Frieden usw.

Wir tun dies nicht. Jahrelang wurde der kommunistischen Bewegung in diesem Land eine Falle gestellt, indem man sagte, zuerst müsse der Faschismus besiegt, zuerst das Kurdenproblem gelöst, zuerst die Demokratie eingeführt werden. Jetzt heißt es „Zuerst muss Erdoğan gehen“.

Erdoğan muss gehen, ja. So schnell wie möglich. Aber unter denen, die sagen, „Erdoğan muss zuerst gehen“, sind die Pro-NATOisten und die pro-amerikanisch-britischen liberalen Kreise am lautesten. Sie wollen die in der türkischen Gesellschaft aufgestaute Anti-Erdoğan-Energie nutzen, um die kapitalistische Macht, der Erdoğan dient, zu erhalten und ihm wieder Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Genossinnen und Genossen, die TKP kalkuliert das gegebene Kräfteverhältnis auf die realistischste Art und Weise in Bezug auf ihre eigenen Aktionen und Vorbereitungen. Aber wir bauen unsere Strategie entsprechend der Vertiefung der sich mehr und mehr bemerkbar machenden Krise und der Tatsache, dass diese chaotische Periode immer überwältigender wird, auf.

Für die TKP ist es eine prinzipielle Haltung, nicht Teil der Verschmutzung zu sein, die von vielen scheinbar linken politischen Bewegungen verursacht wird, die miteinander konkurrieren, um eine Rolle bei Lösungen innerhalb der von der kapitalistischen Ordnung gesetzten Grenzen zu ergattern. Unsere Partei hat eine langjährige, nicht zu unterschätzende Erfahrung darin, dem Einfluss der reformistischen Linken entgegenzutreten, die manchmal im Gewand der neuen Sozialdemokratie, manchmal mit einem frechen liberalen Diskurs und manchmal mit einem hohlen Radikalismus auftritt, den wir in der Vergangenheit sehr oft erlebt haben.

Dies ist eine revolutionäre Behauptung. Wir kennen unsere Unzulänglichkeiten und Fehler. Aber der größte Fehler ist, das Ziel des Sozialismus und der Revolution aufzuschieben. Die Geschichte wird uns nicht verzeihen, wenn wir in einer Zeit, in der der Kapitalismus so erschüttert und unhaltbar ist, in parlamentarischen Zielen dem Kapitalismus immanenten Organen steckenbleiben.
Wenn wir mit diesem Mut handeln, stellen wir fest, dass wir Fortschritte machen, dass wir überzeugender werden und dass wir viel schneller in der Lage sind, unsere Fehler und Schwächen auszugleichen.

Die Kommunist:innen haben die historischen Umwälzungen von 1917, 1945 oder 1959 nicht angeführt, weil das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten war, sondern weil sie in der Lage waren, eine revolutionäre Antwort auf die raschen Veränderungen der objektiven Bedingungen zu geben.

Lasst uns heute, im Jahr 2022, in der Hauptstadt des sozialistischen Kubas, dass das Ergebnis einer solchen revolutionären Wachsamkeit ist, eine neue Periode einleiten, in der wir das Wiederaufleben der kommunistischen Bewegung erleben, in der wir eine echte Debatte und Zusammenarbeit führen, in der wir voneinander lernen und uns von den Kämpfen der anderen begeistern lassen.

Meine besten Erfolgswünsche an Sie alle, liebe Genossinnen und Genossen…

Kemal Okuyan
Generalsekretär der TKP
29 Oktober 2022