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Apropos Ansprechpartner… (*) (**)

AYDEMİR GÜLER

Während einerseits innerhalb der bürgerlichen Politik auf das Dilemma. „ob es ein kurdisches Problem gibt, oder nicht“ zurückgegriffen wird, wird andererseits auch darüber diskutiert, wer der legitime Repräsentant der Kurden ist. Da ein Ansprechpartner gesucht wird, sollte auf der Tagesordnung ein Lösungstisch stehen, und nicht die Frage „ob, oder nicht“.

Alles ist Klassenbezogen: die Lösung, der Tisch, und sogar die Definition der Problematik. Wenn gefragt wird, ob es ein Problem gäbe, würden wir raten, auf die Baustellen und die Arbeitslosen zu schauen.

Die Population, deren Existenz undefiniert ist, die zur Zielscheibe von nationalistischer Ausgrenzung und politischer Unterdrückung gemacht wurde, der die meisten Bürgerrechten vorenthalten werden, die schwer von Klassenungleichheiten betroffen ist und deren Muttersprache Kurdisch ist, ist die offensichtliche Realität der Türkei.

Die Gesellschaftsschichten verteilen sich ungleich. Nicht alle Kurden stehen in gleicher Distanz zu allen Aspekten der Problematik und bilden in diesem Sinne keine homogene Gemeinschaft… Wann ist „die Nation“ genannte Menschengesellschaft überhaupt homogen gewesen?

Homogenität ist eine Illusion. In jeder nationalen Gesellschaft steht eine Klassengruppe im Vordergrund und auferlegt und durchsetzt ihre Interessen, Forderungen und das Verlangen als die Interessen, Forderungen und das Verlangen der Gesamtheit.  In diesem Sinne spiegelt die „produzierte“ Homogenität tatsächlich die Herrschaft und die Belagerung der herrschenden Klasse innerhalb einer Nation über andere wider.

Ansprechpartnerschaft wird selbstverständlich auf der Basis der Realpolitik durchgeführt. Aber dahinter steckt die Annahme, dass die Interessen der Kurden ein gemeinsames und einwandfreies Ganzes bilden. Während wir der Behauptung, dass die Türken ein unprivilegiertes und klassenloses darstellen würden, stets widersprechen, ist es jetzt nicht höchste Zeit, dieselbe Behauptung für die Kurden infrage zu stellen?

Es wird aber gesagt, dass die Nationalbewegung die Einheit verschiedener Klassen und Ideologien ist… Schön und gut, aber dies ist nicht eine konfliktfreie Einheit!

Bestenfalls ist ein Teil der gegensätzlichen Interessen in der Politik unterrepräsentiert. Wendet sich eine Seite der Debatte um die Ansprechpartnerschaft an die Realpolitik, an die Gewichtverteilung der Parteien usw., so ist die andere Seite kohärent mit der Klassenherrschaft und der politischen Hegemonie in der kurdischen Gesellschaft.

Auf realpolitischer Ebene hat es die CHP in den letzten Wochen tatsächlich geschafft, einen gemeinsamen Weg mit der HDP zu ebnen, ohne sie offiziell und öffentlich in die Allianz aufzunehmen. Die widersprüchlichen Töne aus den verschiedenen Kreisen der kurdischen Bewegung deuten darauf hin, dass die kurdischen nationalen Dynamiken sich hauptsächlich der „Millet-Bündnis“ (Allianz der Nation) (***) nähern, aber die Brücken zur heutigen politischen Macht nicht völlig abbrechen würden.

Aber wer in der Opposition bricht schon alle Brücken zur Regierung ab? Spricht die Opposition von der Wiederherstellung des Laizismus, währen dieses von der Regierung vernichtet wird? Kann die Opposition die Prinzipien eines unabhängigen Landes erklären, währen die Regierung zwischen den imperialistischen Mächten pendelt? Aber wer in der Opposition bricht schon alle Brücken zur Regierung ab?

Als solche, also je mehr die bürgerliche Politik es unterlässt, den werktätigen Massen eine radikale Kritik an der Ordnung zu bieten, desto wird es leichter, die innere Klassendifferenzierung der kurdischen Nationalbewegung zu verschleiern. Zweifelsohne gibt es Linke innerhalb der breiten kurdischen Nationalfront. Aber der gemeinsame Nenner dieser Letzteren besteht darin, die Zurückhaltung der Stimme der Werktätigen zu entschuldigen;  dies sogar als Recht der Führung zu betrachten, und  die besagte Haltung zu rechtfertigen, um vielleicht die Stimmen der rechtsgesinnten Kurden nicht zu verlieren.

Es gibt Prinzipien in der Politik der Werktätigen, wenn auch nicht innerhalb der bürgerlichen Politik. Die Werktätigen  benötigen auf jeden Fall eine gemeinsame Haltung, vor allem um nicht mehr eine desorganisierte Masse zu sein, die nur zwischen Zuhause und Arbeit pendelt. Wenn die kurdische Nation kein privilegiertes, klassenloses Ganzes ist und die Existenz kurdischer Arbeiter anerkannt werden soll, müssen diese Prinzipien auch dort angewendet werden.

Die Beendung der Ausbeutung am Ziel zu setzen. Der Laizismus als die Existenzfrage der Rechte der Werktätigen und Staatsbürger:innen anzueignen. Ausgehend davon, dass die Werktätigen nur unter unabhängigen Bedingungen Stimme und Rechte haben können, um den Antiimperialismus als Prinzip zu erfassen… Wenn wir hier über die Prinzipien sprechen sind diese die einfachsten Punkte…

Wie wird die Lösung des kurdischen Problems von der in kurdischen Farben bemalten Hacke der USA in der Nahost beeinflusst? Wird die Lösung des kurdischen Problems, zum Beispiel, im Einklang mit der Nationaleinheit Syriens, der den Angriff des Imperialismus und der internationalen Reaktion jetzt langsam zurückschlägt? Wie wird die Lösung des kurdischen Problems auf der Basis gegen den Imperialismus formuliert? Wird die Lösung des Kurdenproblems in unserer Region, in der die Ausbeutung der Religion am intensivsten ausgeübt wird, nicht mit dem Laizismus in Verbindung gebracht? Wird es möglich sein, auf dem Weg zur Lösung des kurdischen Problems Brüderlichkeit aufzubauen anstatt Feindseligkeiten zwischen Werktätigen unterschiedlicher nationaler und ethnischer Identität zu entfachen? Im Kern der Sache -das heißt als aller wichtigste- wie wird die Lösung des Kurdenproblems mit der grundsätzlichen Ablehnung der bisher als Freiheit angedrehte Durchführung der Privatisierung, Vermarktung und Subunternehmertum angeknüpft?

Die Politik der Werktätigen kann nur durch die richtigen Antworten zu diesen Fragen weiterentwickelt werden. Andernfalls werden das Problem, der Tisch, sowie die Lösung nicht die Prägung der Werktätigen tragen, sondern der Kräfte, die sie ignorieren, verschleiern und bestürmen. Das heißt, dass die Leere in der politischen Vertretung der kurdischen Werktätigen dringend wettgemacht werden. (****)

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(*) Dieser Artikel von Aydemir Güler, Mitglied des Partei-Beirats wurde am 5. Oktober in der Internetzeitung der TKP, soL veröffentlicht.

 

(**) Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, sagte vor kurzem, dass der Ansprechpartner in der Lösung der kurdischen Frage das Parlament sei. Diese Aussage löste einen Diskurs zwischen allen Oppositionsparteien aber auch eine kurze interne Diskussion in der HDP aus, da ein Co-Vorsitzender darauf hindeutete, dass der Ansprechpartner hauptsächlich Abdullah Öcalan sei.

 

(***) „Millet Allianz“ (Allianz der Nation) war ein Bündnis der zwei größten Oppositionsparteien, die CHP (Republikanische Volkspartei) und Iyi Parti (Die Gute Partei – eine Spaltung der faschistischen MHP). Zuletzt kamen weitere vier kleine Oppositionsparteien ins Gespräch für eine evtl. Teilnahme an diesem Bündnis.

 

(****) Auf der Jahreskonferenz der TKP vor zwei Jahren wurde ein Beschluss gefasst, um abgesehen von den Parteibüros Begegnungsstellen in den Arbeitervierteln zu eröffnen. Das Ziel dieser „Stadtteil-Häuser“ war, intensiver mit den Einwohner:innen zusammen zu kommen und für aktuelle Probleme gemeinsam konkrete Lösungen zu suchen. Die Zahl dieser Häuser sind mittlerweile nicht nur in den Großstädten, Industriezentren, sondern auch in überwiegend von Kurden bewohnten Städten Ostanatoliens gestiegen und es kommen jeden Monat mehrere neue dazu.