Lies interessante Artikel!

Von 1914 bis 2016 –
Nationalismus und die Realität der Klassen

Kemal Okuyan

Anno 1914, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Der serbische Nationalist, der den österreichischen Thronfolger erschoss beschleunigte nur die historische Abrechnung unter den imperialistischen Zentren.

Epizentrum dieses Kampfes war Europa und die einzige Kraft, die es hätte verhindern können war die Arbeiterklasse.

Das Zentrum der Arbeiterbewegung war das neu aufgehende imperialistische Deutschland. Mit Millionen von Mitgliedern, Abermillionen von Stimmen und Tausenden von Massenblättern war die Sozialdemokratische Partei ein Staat im Staate. Die Kommunisten hatten sich noch nicht ganz von den sozialdemokratischen Traditionen losgesagt, Marxismus war überall durch sozialdemokratische Parteien vertreten.

Viele hatten das Glauben, dass der Krieg von der in der 2. Internationale organisierten Arbeiterbewegung abgewendet werden würde. Die zwei Gegner, Deutschland und Frankreich, waren auch in der internationalen Arbeiterbewegung führend. Zugegeben, die Deutschen waren im Überzahl aber die Gesamtbewegung in beiden Ländern gab der Menschheit die Hoffnung. Als die Kriegstrommeln immer lauter wurden trafen sich deutsche und französische Sozialdemokraten und Arbeiter und zogen unter dem Motto „wir werden uns nicht gegenseitig erschießen“ gegen den Krieg zu Felde.

Man vergas leicht, dass die deutsche Partei schon länger sich Theorien beschäftigte, die den Kolonialismus verharmlosen. Dass sie ihre Zukunft an die des deutschen Staates koppelte und sich mehr und mehr zu einem linken Ratgeber des deutschen Kapitals entwickelte, in dem sie aus den teils richtigen Analysen von erkämpften Arbeitnehmerrechten und den stärker werdenden Kapitaldeckung der deutschen Wirtschaft die falschen Schlüsse zog. Die Anderen waren ja genauso.

Die Oberen dieser staatsgleichen Parteien begriffen, dass sie ihre Privilegien und ihren parlamentarischen Macht verlieren würden, wenn sie sich nicht gegenseitig bekämpften. Viele von denen hatten Wurzeln in den Arbeiterfamilien, hatten sich in der Partei oder in den Gewerkschaften hochgearbeitet und dabei fetter und unbarmherziger geworden. Das Parlament gab im Schnellverfahren Kriegserklärungen ab. Bei den konservativen gingen die Hände für „heilige Werte“ hoch und bei den Linken für „Freiheiten“. Die Bosse und die Arbeiter vereinten sich für das „Vaterland“. Der deutsche Arbeiter sollte den französischen Arbeiter für das Vaterland erschießen und umgekehrt!

So kam es! Zu hunderttausenden sind sie gestorben. Die echten Revolutionäre, die sich dagegen stellten, wurden erst aus den sozialdemokratischen Parteien entfernt und schließlich in die Kerker geworfen.“

„Nationalismus ist die Aufhebung von Klassenwidersprüchen“ heißt es ja, dies wurde am deutlichsten und am brutalsten 1914 vor Augen geführt. Wie wichtig es ist, zwischen Patriotismus auf der einen und das blinde Folgen den Blutsaugern und Verrätern auf der anderen Seite wurde hier nochmals bewiesen.

Für die deutschen Machthaber war die Rechnung einfach: Die Wirtschaft wuchs, neue Märkte und Rohstoff-Quellen waren vonnöten. Die immer stärker werdende Arbeiterklasse, die im Konkurrenzkampf gegen England in den letzten Jahren die Arbeitskosten in die Höhe trieb musste geschwächt werden. Die Tendenzen in der Gesellschaft nach Gleichheit musste eingedämmt und die Deutschen um ein gemeinsames Ziel vereinigt werden. Krieg war dafür in Kauf zu nehmen.

Natürlich wussten die deutschen Sozialdemokraten, dass solche Überlegungen und die Krise des Kapitalismus einen Krieg unausweichlich machten. Aber sie haben sich für den Krieg entschieden, anstatt sich dem entgegenzustellen und das System zu wechseln! Wenn Deutschland siegte wollten sie auch zu den Siegern gehören!

Auch Russland des Zaren wollte Krieg. Teile der russischen Arbeiter und die russischen Bauern hofften, dass ihnen auch etwas abfällt, wenn der Zar und die Seinen siegreich aus dem Krieg hervorgehen würden. Gar Istanbul war zur Ausplünderung ausgemacht!

Die Armen der Länder waren berauscht von solchen Aussichten willens, sich gegenseitig zu massakrieren, damit die Reichen reicher wurden.

Schon zu Beginn des Krieges wurde gerade aus diesem Russland eine Stimme gegen diese Entwicklungen wahrnehmbar. Lenin konnte sich mit Polemik wenig anfreunden, aber dieser Verrat an internationaler Arbeiterklasse machte ihn fast wahnsinnig! Nicht nur seinen Hass, auch seiner gesamten intellektuellen Kraft setzte er ab da gegen diesen Verrat. Er analysierte klar die Gründe des Krieges und zeigte deutlich die inneren Verkrustungen der Sozialdemokratie. Sein Buch über Imperialismus entstand mit dieser Motivation.

Im September 1914 versuchte er zu verhindern, dass dieser Krieg als eine Art geopolitisches Kräftemessen der großen Mächte abgetan wird, in dem er schrieb, „dass die Bourgeoisie die Gesetze der Kriegszeit dazu benutzt, das Proletariat völlig mundtot zu machen…“ (Lenin, Gesammelte Werke, Band 21 Seite 19)

Ja, die Imperialisten waren in einem blutigen Krieg verwickelt aber die Monopole in Deutschland, Italien, Frankreich und England füllten ihre Kassen. Streiks waren im Namen des Volkes verboten, die Gehälter gekürzt, die öffentliche Mittel dem Kriegsmaschinerie zur Verfügung gestellt. Fast alle Sektoren profitierten vom Krieg. Die Lebensmittelkonzerne verdienten an der Frontverpflegung, Textilkonzerne an Uniformen und Waffenkonzerne an Munition. Und der Finanzsektor… Einige Quellen besagen, dass Banken pro gefallenen Soldaten ca. 10.000 Dollar (als Dollar noch Dollar war!) an Gewinn erzielten!

Warum erzähle ich Ihnen das heute?

Ich tu es, um in Erinnerung zu rufen, dass jeder Versuch, die Arbeiterklasse und das Kapital, aus welchem Grund auch immer, zu versöhnen, ein Mitschuld an dieser historischen Schuld tröge!

Die, die heute meinen, auf den Klassenkampf zugunsten von Demokratie, Freiheit, laizismus oder nationalen Interessen verzichten zu können, sollten wissen, dass dies in Deutschland und Frankreich des Jahres 1914 genauso wenig „glaubwürdig“ war wie jetzt. Die Franzosen, die ihre Freiheit von Deutschen Despoten bedroht sahen, versprachen auch den Völkern von Österreich-Ungarn und im Osmanischen Reich die Freiheitsrechte. Und die Deutschen behaupteten gegen das reaktionäre Zarenreich für die Zivilisation ins Feld zu ziehen!

Jeder hatte einen scheinbar guten Grund seinem Herren zu dienen.

Ich höre den Protest „Türkei ist doch kein impertialistisches Land“.

Diese Diskussion möchte ich hier nicht beginnen. Nur so viel, die Imperialismus-Tendenz ist jedem kapitalistischen Land systembedingt angeboren und die Gier und Gewinnsucht sowie Volksfeindlichkeit des türkischen Kapitals ist gewiss nicht weniger als die der kriegsverrückten Monopolisten des Jahres 1914.

Kaukasus und Balkan gestern und Syrien sowie Irak heute spült nicht nur in den Kassen von globalen imperialen Zentren sondern bietet türkischen Kapitalisten neue Investitionsmöglichkeiten und Märkte und besseren Zugang zu den Energiequellen.

„Wenn mein Boss verdient geht dem Arbeiter auch gut“-These ist historisch widerlegt. Auch wenn wahr ist, dass ein Teil des Reichtums der Kapitalisten auch bei den Arbeitern ankommt, es hat sich gezeigt, dass auch in den reichsten Ländern des Westens dieser Wohlstand nicht von Dauer ist. Von den Millionen mittellosen Verlierern des Systems ganz zu schweigen!

In der AKP-Türkei machen die Konzerne unvorstellbare Gewinne aber die realen Löhne sinken von Jahr zu Jahr. Die Arbeiterklasse wird mit nationalistischen Parolen ruhiggestellt. Was Volksstimme im Jahre 1914 war ist es jetzt auch, die Nationalismus die stärkste Waffe der Ausbeuter.

Was sagten wir? Patriotismus bedeutet unser Land von diesen Ausbeutern, Dieben und Parasiten zu befreien!

Mitglied der ZK der TKP
16.10.2016
soL-Portal