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Nach dem 24. Juni
Aussichten und Möglichkeiten der Linken der Türkei

Aydemir Güler

Lassen sie uns bei dieser Überschrift vergleichend vorgehen… Ich werde den Vergleich zwischen der Vergangenheit und dem Heute ziehen. Aber natürlich ohne, zu weit in die Vergangenheit zurück zu fallen.

Die ersten Wahlen in der zweiten Periode der AKP fanden 2011 statt. Zuvor leistete das “alte Regime” vermeintlich widerstand. Man sollte es meiden, eine hinter verschlossenen Türen mit dem Generalstabschef stattgefundene Einigung oder eine durch Druck herbeigeführte Ergebenheit, als einen “Widerstand” zu krönen. Selbstverständlich werden die “Cumhuriyet-Demos” nicht unterschätzt. Aber wir sollten dabei nicht übersehen, dass das einfache Einmarschieren der Imame in den kosmischen Raum , zusammen mit dem Ergenekon  Zeug, eigentlich ein sehr grobes Szenario aufwirft: Für den Abbau der 1923´er hatte die Ordnung mit großer Übereinstimmung gemeinsam gehandelt. Diese Übereinstimmung hat eindeutig einen Klassencharakter. Das Kapital wollte keine Republik mehr haben. In diesem Sinne sind die Wahlen von 2011 als die ersten der neuen Phase zu bezeichnen. Bis zu diesem Zeitpunkt sprach die kommunistische Partei der Türkei von “an der Schwelle der Katastrophe“. Da es aber zugleich der Moment war, in dem der Gegenwind brach, verkündete man, dass die Erste-Republik zweifelsfrei und unwiderleglich zusammengefallen ist.

Und wo war die Linke während des Zusammenfalls, womit waren sie beschäftigt und wie wurden sie wahrgenommen?

In den Jahren 2002-2010 sind Hauptakteure der Linken in der Türkei, Teil der Gegnerschaft der Ersten-Republik geworden. Andererseits gab es nicht wenige, die diesem entgegentraten. Bei dem Referendum am 12 September 2010 hat die TKP, ÖDP, EMEP und Halkevleri mit einigen Weiteren zusammen, durch das „Nein“ eine wichtige Position eingenommen. Einerseits ist es Fakt, dass diese Gruppen quantitativ gesehen, viel mehr als die Hälfte der Linken der Türkei ausmachen. Andererseits ist auch aufgrund interner Gebrechlichkeit und Distanzen dieses Zusammenfindens zu betonen, dass die „Linke im Allgemeinen“ trotzdem bei der Gegenrevolution der AKP sitzen geblieben ist und/oder verrat begannen hat.

Als Nächstes sollte bei den Wahlen im Jahr 2011 folgendes Bild entstehen: Um sozialistisch zu sein, brauchte man keine Partei der Arbeiterklasse. Bei der CHP, der HDP, der TKP und auch bei Anderen, die zwischen Tür und Angel aufzuspüren wären, könnte man den Sozialisten spielen.

Diese Einstellung, die vom Parlament auf die Straße weitergegeben wurde, muss nicht jede Strömung stören. Doch für die, die sich als “konzentriert auf die Partei” definierten und marxistisch-leninistisch sind, war dies folgenschwer. Die leninistische Auffassung, dass der sozialistische Kampf von nur einer Partei ausgehen müsse, wurde durch die parlamentarische sowie außerparlamentarische Linke regelrecht verleugnet!

Infolge dessen widmeten sich die als sozialistisch geltende Linke der CHP und der HDP, also einer alten und einer neuen Sozialdemokratie, während die TKP sich dieser Umstände widersetzte. Kern der politischen Diskussionen war es, ob die Linke, die AKP mit ihrer neuen Islam-Ordnung als eine politische Größe akzeptieren würde oder nicht.

Der ehrlichen Analyse, dass die Erste-Republik zusammengefallen war, fügte die TKP hinzu, dass dem Zusammenfall die Krise folgen würde und kein Status quo ante. Alle Anderen der Linken in der Türkei nahmen sich weiterhin vor, zur sozialistischen Opposition in der neuen Türkei der AKP zu werden.

Dieser Rückzug bedeutete das Ausblenden möglicher revolutionärer Umstände, die in dieser kritischen Umbruchsphase entstehen könnten. Ausserdem war die Annahme, dass eine sozialistische Opposition von dem islamistischen Faschismus Vorteil buchen könnte, eine Erscheinung der Degeneration aber auch der Niederlage. 

Sie haben sich aber getäuscht! Mitten in dieser Legislatur entstand der Gezi/Juni Widerstand. Ohne auch auf weitere Beispiele einzugehen, ist zu betonen, dass der Juni 2013 die Krisenthese der TKP bestätigte.

“Die sogenannten Sozialisten in der Zweiten-Republik”, fand weder gefallen an der Türkei Flagge bei den Juni-Widerständen noch an der Verteidigung des Laizismus. Allgemein distanzierten sie sich und versuchten, in dieser spontan entstandenen Volksbewegung Spuren von liberaler und radikaler Demokratie aufzuspüren. Ganz konkret und auch praktisch betrachtet stand der Juni Widerstand im Widerspruch mit den „Friedensverhandlungen“ zum Kurdenkonflikt. Dass die HDP im Moment des Gezi (also gegen die AKP, die vermeintlich demokratisch gewählt und legitim war) einen Putsch zu sehen versuchte und die restlichen Linken sich in “Park Foren” zurückzogen, war sicherlich kein Zufall. Diese linksartige Masse erinnerte sich ein Jahr später, durch die rechtsgesinnten Bürgermeisterkandidaten der CHP, an den Gezi und sagte: “Bas-geç!”. 

Bis 2015 sollten die Friedensverhandlungen die politischen Debatten in der Türkei dominieren. Die Kurdenpolitik der AKP war der beste Vorwand zur Tarnung des Abbaus der laizistischen Republik …

Während im Laufe desselben Jahres, die Verhandlungen ins Stocken kamen, wurde ein anderes Vorhaben vollendet. Die AKP rächte sich nun bei der Linken der Türkei für den Juni Widerstand: der Abbau!

Dass die HDP Teil der Wahlregierung wurde, die vor den Wahlen vom 1 November 2015 entstand und als ausführende Gewalt keinerlei Funktionen innehatte, wird heute durch liberale sowie prokurdische Kommentatoren verdrängt. Dabei ist es weder ein Zufall noch ein Fehler, dass die HDP für diese Regierung zwei Vertreter der Aleviten zu Ministern ernannte und einem Vertreter einer sozialistischen Partei zur Annahme eines Ministerpostens ordentlich Druck machte.

Während also die AKP durch Bomben versuchte die HDP zu erziehen, nahm sich die HDP vor, durch dieses Manöver die Dynamik der Aleviten und die Erfahrungen der Sozialisten auszurotten. Die HDP versuchte also, die ins Stocken gekommenen Verhandlungen wieder ins Rollen zu bringen, indem sie die Köpfe der radikaleren unter ihren Verbündeten der AKP anboten.

Das innere Geflecht

im sozialistischen Kampf

Dass die HDP bei den Wahlen von 2018, die fast gesamten Linken – außer die TKP – inkludierte, zeigt, wie weit der Abbau in der Linken vorgedrungen ist. So wollten/konnten Sozialisten, welche über die HDP ins Parlament einzogen, in ihrer Wahrpropaganda anders als zuvor keinerlei linke Diskurse einbringen. Es wäre auch nicht möglich gewesen, denn die Wahlpolitik der HDP war begrenzt auf die These: “Wenn wir die 10-%-Hürde nicht überschreiten können, wird die AKP die Mehrheit bilden”. Am Ende hat die HDP die 10-%-Hürde geschafft zu überschreiten und die AKP ist (dank mathematischer Gleichungen die durch die MHP aufgingen, doch auch möglich wären durch Andere) mehrheitlich im Parlament geblieben!

Lassen wir das beiseite. In der Aussage “Wenn wir die 10-%-Hürde nicht schaffen”, ist keine Spur von einem linken Diskurs zu finden. Das Ergebnis der Wahlpraktiken der HDP von 2011 war: “Den Sozialisten spielen, kann man auch in der – nicht sozialistischen – HDP.”. Doch 2018 folgerte man, dass es nicht die Zeit sei für solch ein Sozialistenspielchen und es außerdem auch nicht bringen würde! Trotzdem nehmen viele weiterhin an, dass der Platz der Sozialisten in der HDP wäre … Vergessen wir nicht zu betonen, dass es in der CHP überhaupt keine Linken mehr gibt. 2018 zählt zu eines der seltenen Jahre, in der die CHP in eigenen Kreisen “gar keine” Sozialisten mehr duldete.

Vor sieben Jahren gab es ein Verständniss, nachdem das existieren von Sozialisten in unterschiedlichen Organisationen öffentliche Akzeptanz fand. Aber heute steckt jeder Kopf eines jeden Sozialisten im Sand, außer die der TKP. Diejenigen, die weder Wissen wo sie hingehören noch was sie tun möchten, schließe ich hier aus. Unter diesen Umständen wird eine tief gehende und ausführliche Analyse eines sozialistischen Kampfes, zugleich zur Analyse der TKP.

Das im Untertitel gemeinte innere Geflecht umfasst drei Ebenen: erstens (1.) das Organisatrische, zweitens (2.) das Politische, drittens (3.) die Gesellschaftliche. Die TKP ist die einzige “Partei”, die am 24. Juni mit unabhängigen Kandidaten antreten konnte. Die Partei bedeutet – wie bereits erwähnt – vor allem sich für eine Seite zu entscheiden. Wenn man keine einheitliche Meinung vertritt und das vorherrschen von Tausenden Meinungen – wenn man so will – als “Pluralität” und als Farbenvielfalt vorschwindelt, kann man keine Partei sein. Allgemein wäre dies nicht möglich und für eine linke, sozialistische Partei ist es gar unmöglich.

Auf Ebene der Organisation sollte die TKP von diesem Standpunkt aus betrachtet werden. Hier hat die TKP, vor (und nach) den Wahlen, auch mit den sehr wenigen Stimmen, die sichtbarste organisatorische Arbeit geleistet. Wir werden sicher die Relativierung der Situation, aufgrund unterschiedlicher Vorzüge anderer Akteure nicht übersehen. Die CHP baute die ganze Kampagne auf einen Mann, die HDP hingegen führte gar keine! Es gibt sicherlich auch immer unproduktive oder unvollständige Momente in der TKP, doch dies sind mehr interne Angelegenheiten, die in der Organisation als auf Ebene der Politik zu verorten sind. 

Auf politischer Ebene ist die TKP unverwechselbar.

Sehen sie ein Problem in der Verwerfung des Laizismus als Problem an? Die Imam-Hatip-Schulen werden geschlossen. Ist Erdoğan im Gedrängel mit der Welt? Alle Beziehungen zum Imperialismus werden unterbunden. Kommt eine Krise? Kündigungen werden verboten. Ausnahmezustand, Putsch? Die Sekten werden geschlossen … Diese politische Linie zeigt, dass als alltägliche Themen abgesteckte Probleme der Türkei, ihre Lösung nur in einem sozialistischen Programm finden können. Doch ist hier das Wichtigere, dass die „Stimme“ der TKP unstreitig die lauteste und klarste Stimme der Türkei ist. Außerdem zeigt sie auch Wirkung.

Das Dasein der TKP setzt – auch wenn versucht wird es zu verleugnen –, neben den Illusionen zur Ersten-Republik und der abbauenden Zweiten-Republik ein wahrhaftiges Zeichen für einen revolutionären Fahrplan. Ist dies wirklich ausreichend? Selbstverständlich gibt es immer ein besser. Und es ist für eine revolutionäre, kommunistische Organisation immer auch eine Selbstverständlichkeit, dass man sich mit Gegebenem nie zufriedenstellt. Trotzdem ist die TKP auf politischer Ebene, aufgrund ihrer klaren Linie konkurrenzlos.

Und auf gesellschaftlicher Ebene ist keine Spur der TKP zu sehen!

Das extrem paradoxe Verhältnis zwischen den Ebenen der Organisation und Politik zu der Ebene der Gesellschaft ist nicht nur für die TKP, sondern für die ganze Türkei eine Herausforderung. Solange diese Kluft besteht und keine größere Resonanz für den sozialistischen Kampf entsteht, kann es für die Türkei keine Lösungswege geben. Die Öffentlichkeit verfällt durch den Zwiespalt von richtig und Recht in eine Gleichgültigkeit, was in ein “Mir doch egal!” mündet. Die Türkei erlebt zum ersten Mal in ihrer Geschichte so wenig Partizipation, wie noch nie. Dass die Ebenen der Politik und der Organisation bei den politischen Akteuren der Türkei mehrheitlich so verdorben ist, führt zu einer absolut regungslosen Gesellschaft. Und genau dies bildet die Basis für das Bestehen der Diktatur des Kapitals.

Aussichten und Möglichkeiten

Damit die Linke wieder mehr Partizipation erfährt, bedarf es eindeutig einer Arbeiterklasse. Die Historie der Distanzierung zur Auffassung der Gesellschaftsklassen in der Linken der Türkei geht weit in die Vergangenheit zurück. Und der gemeinsame Fehler, den die gesamte Linke in der Türkei – außer der TKP – begeht, ist genau diese Distanzierung. Es ist, als würde die Linke die einstmal bekannten These “Das Proletariat ist tot” teilen. Aber auch Abweichungen wie die Identitätspolitik, der Radikalismus, der Syndikalismus, die bis dato zur Lenkung nutzbar wurden, finden in der Öffentlichkeit keine Resonanz mehr. “Aussichten”, verspricht nur das sich Organisieren und das Aktivwerden der Arbeiterklasse. Ideologische sowie politische Positionen ohne ein Klassenbewusstsein haben keine Zukunft.

Nun sollten wir die oben angeführte Feststellung mit der Dynamik der aktuellen ökonomischen Krise  zusammenführen, um diese zu bestärken. Wir betonten bereits, dass der unumkehrbare Zusammenfall des alten Regimes nicht bedeutete, dass ein neues Weiterführendes gekommen sei. Dort wo einst ein Regime var, ist jetzt eine Krise! Außerdem ist die Krise von 2018 eine erheblich größere als die von vor zehn Jahren. Thesen zum Zusammenbruch und von diesen getragene naive Erwartungen sollen fern bleiben. Wir sprechen hier von nur einer einzigen Option: Die Möglichkeiten einer revolutionären Partei mit Klassenbewusstsein. Wenn diese Option in Betracht gezogen wird, können auch unter vorherrschenden Umständen revolutionäre Möglichkeiten zustande kommen.

Die restliche Linke wird wohl weiterhin abwarten. Wenn sie es nicht bis ins Unendliche tun, so werden sie irgendwann vielleicht pro Russland oder pro China Politik betreiben!

Manch einer wird zweifellos die erste Stufe der Zwangstreppe besteigen, in dem sie wieder einmal die Lösung des Kurdenkonflikts abwarten. Und da das Presidialsystem ehe schon eingeführt wurde, werden Sie sogar darauf warten, dass der Präsident in seiner Amtsgewalt demokratisch handelt oder versuchen ihn dazu zu “drängen”. Und danach werden sie das Ganze unter dem Vorwand der “Realität” legitimieren. Das Resultat können viele neue Versöhnungsversuche und auch Verrat sein, aber sicher keine Linke. Die kommunistische Bewegung machen sich zur Aufgabe, solch eigenartige politische Positionen aufzuklären. Wir müssen uns also organisatorisch dermaßen stärken, damit unsere Politik einen Anklag in der Gesellschaft findet.

Also dann:

Die Partei zu den Arbeitern!
Die Arbeiter in die Partei! 

 

1) “Kosmischer Raum” sind die Räumlichkeiten, in denen die “Top-Secret”-Information der Armee aufbewahrt werden.

2) Der Ergenekon-Prozesse sind eine Reihe von Prozessen, in denen hunderte hochrangige Offiziere, Juristen, Geschäftsleute, Politiker und Journalisten mit gefälschten Beweisen als mutmaßliche Mitglieder der Verschwörungsorganisationen jahrelang in Haft gehalten und zu hohen Strafen verurteilt wurden.

3) “Bas geç!” ist der Slogan einer Kampagne, die über soziale Medien wie Facebook geführt wurde. Ziel der Kampagne war es, bei den Kommunalwahlen vom 30.03.2014, die Wähler gegen die rechtsgesinnten CHP-Kadidaten für die HDP zu mobilisieren. Der Slogan bedeutet so viel wie “Wähle und weiter!”


Mitglied der ZK der TKP