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Wohin geht’s mit dem deutschen Imperialismus? (*)

Erhan Nalçacı

Die Richtung des deutschen Imperialismus festzustellen, ist keine einfache Sache, denn es erfordert Wissen über die vielen Wiedersprüche und Prognosen über mögliche Weiterentwicklungen dieser Wiedersprüche. Höchstwahrscheinlich hätten heute die Kapitalisten in Deutschland und auch die Politiker keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Vor allem widersprechen sich die Interessen der deutschen Monopole in Bezug auf Markt, Rohstoff und Quellen der Arbeitskraft und das politische des deutschen Imperialismus beruht auf langfristiger Gewinnung zusammengesetzter Vektoren dieser Widersprüche. Doch wir müssen auch die wachsenden Antagonismen innerhalb der EU und die Konkurrenz zwischen den anderen imperialistischen Ländern berücksichtigen, das sich inzwischen zu einem gefährlichen Machtspiel hochgeschaukelt hat.

Aus diesem Grund wird in diesem Artikel mehr der Versuch unternommen, Tendenzen und Eventualitäten zu diskutieren, als einen genauen Fahrplan zu beschreiben.

Ein kurzer historischer Exkurs wird uns einen besseren Zugang verschaffen

Ein kleiner Exkurs in die Geschichte, wird uns helfen, die Periodisierung und die Unterschiede dieser Perioden zur Gegenwart besser zu verstehen.

Es ist allgemein bekannt, dass die Industrialisierung in Deutschland später eingetroffen ist, eine nationale Einheit spät gefunden wurde und die bürgerliche Revolution auch erst aufgezwungen werden musste.

Nach dem Erlangen der nationalen Einheit im Jahr 1871 setze sich die Monopolisierung rasch durch und überholte um 1900 den imperialistischen Spitzenführer England, in der internationalen Industrieproduktion. Die Welt war mit den geografischen Entdeckungen, entsprechend der Machtverhältnisse aufgeteilt und kolonialisiert worden. Deutschland, verdrängt im Festland Europa, beteiligte sich erst spät an diesem Verteilungskampf und forderte als Nation, eine Neuaufteilung der Welt unter den Imperialisten.

Anmerkung 1: Zu Beginn des Jahres 1900 und noch vor dem Ersten Weltkrieg überholte Deutschland in der Industrieproduktion England, das damals größte kapitalistische Land der Welt. Wir werden gleich der Tabelle 1. entnehmen können, dass Deutschland, trotz der hochentwickelten Industrie, heute weit entfernt von einem solchen Anspruch ist.

Für den deutschen Imperialismus endete der 1.Weltkrieg mit Zerstörung, einer verletzten nationalen Würde, dem Verlust der wenigen Kolonien und sogar der Einflussräume in Europa. Hinzu kam, dass bei den Kampfgegnern in Russland der Klassengegner triumphierte und das erste sozialistische Land der Welt entstand. Noch bevor die Unterschriften des Versailler Vertrags trocknen konnten, wurden die Uhr für den 2.Weltkrieg gestellt. Um dem Druck der Arbeiterklasse zu entkommen und durch die nationalistische Stimmung die Verluste auszugleichen, unterstützten die deutschen Monopolkapitalisten die Nazis. Einerseits war Deutschland auf Rache gegen England und Frankreich aus und andererseits planten sie gemeinsam mit den anderen imperialistischen Ländern einen Angriff auf die Sowjetunion. Aus diesem Grund sahen sie der Bewaffnung des Nazi Deutschlands schweigend zu.

Anmerkung 2:  Auch wenn Deutschland als bewaffnetes imperialistisches Land in der Lage ist, kleinere Länder militärisch zu bezwingen und  diese Tendenz auch zeigt,  scheint die Aufrüstung nicht das Interesse zu verfolgen, über die ganze Welt her brechen zu wolle oder gegen andere imperialistische Mächte kämpfend, sich das zu nehmen „was ihnen zusteht“. Das werden wir Anhand von Grafik 3 noch diskutieren.

Und der zweite Weltkrieg endete noch verheerender. Am Ende des Krieges konnte nicht einmal mehr die Rede von einem Staat sein. Die deutschen Truppen wurden an der Front durch die Rote Armee geschlagen und das Land wurde durch England und die USA bombardiert, bis kein Stein mehr auf einem anderen Stand. Dies sollte als Botschaft an die Rote Armee dienen. Im Großteil der berüchtigten „Lebensräume“ und im Osten Deutschlands wehten rote Fahnen des Sozialismus. Und der Westen wurde durch die USA, England und Frankreich besetzt.

Gleichzeitig wurde die imperialistische Hegemonie von England an die USA übergeben. Somit wurde Deutschland zur Besatzungszone der USA. Gegen die Sowjetunion und mögliche Revolutionen durch Arbeiterbewegungen in Europa, war die USA auf ein starkes kapitalistisches Deutschland angewiesen. Dieses Deutschland schafften sie durch das Verhindern der Vereinigung von West und Ost, durch den Schutz und die Unterstützung der Monopole, die Kriegsverbrechen mit den Nazis zu verantworten hatten, mit dem Marshallplan zur Stärkung des Kapitalismus, mit der Etablierung des Sozialstaates gegen das Ansehen des Sozialismus und zuletzt mit einem zutiefst antikommunistischen Staat. In der imperialistischen Pyramide bewegte sich Westdeutschland immer unter der politischen und ökonomischen Hegemonie des US-Imperialismus. Schlussendlich wurde Deutschland ab 1955 mit dem Beitritt in die NATO zum Stützpunkt der Konterrevolution.

Anmerkung 3: Es ist schwierig ein genaues Datum zu finden, aber der Einfachheit halber nehmen wir die Krise von 2008. Deutschland zeigt sich nicht mehr als ein Land unter der Hegemonie der USA, sondern als ein imperialistisches Land, das versucht sich befreien. Spätestens ab der Spionageaffäre von 2013, bei der es um die Unterwanderung des gesamten deutschen Staates durch ein US-Agenten-Netzwerk und dem Abhörskandal, hat sich dieses Bild verstärkt. Deutschland scheint im Fall von Libyen, Syrien, Iran und Russland einen eigenen Weg zu gehen.

Die Europäische Union ist seit 1952 eine imperialistische Institution, das durch deutsches Kapital getragen wird und der in unterschiedlichen Phasen, unterschiedliche Funktionen zugesprochen wurden. Zunächst spielte die EU eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Märkte und somit der Stärkung des Kapitalismus; integrierte  Länder wie Griechenland und Portugal, die als Schwache Glieder der EU gelten in das imperialistische System; baute Strukturen auf, in der, zentrale Länder Mitgliedsstaaten zweiter Klasse ausbeuten; und zuletzt spielte die EU, nach der Auflösung der Sowjetunion eine beträchtliche Rolle bei der Eingliederung der ehemals sozialistischen Länder in die geschaffene Ordnung. Den ersten militärischen Auslandseingriff nach dem 2.Weltkrieg unternahm Deutschland 1999 mit der Teilnahme am perfiden Angriff der Nato in Jugoslawien. Die Zerstörung und Aneignung Jugoslawiens war hauptsächlich die Aufgabe Deutschlands. 2001 stationierte Deutschland Soldaten in Afghanistan und beteiligte sich an mehr als 30 weiteren militärischen Eingriffen im Ausland. Außerdem hatte Deutschland auch wichtige Funktionen bei den „farbigen Revolutionen“ in den ehemals sozialistischen Ländern inne.

Anmerkung 4: Ab 2008 entstehen erste Brüche in der EU und führen zu Hindernissen im Fortbestehen. Seit geraumer Zeit tun sich Mitgliedsstaaten der EU und der NATO, schwer bei der Findung einer gemeinsamen politischen Position. In unterschiedlichen Situationen ist das selbstständige Handeln Deutschlands beobachtbar.

Die gegenwärtige Richtung des Deutschen Imperialismus:

Schauen wir uns zunächst Tabelle 1 an, der wir den zur Weltproduktion geleisteten Beitrag der imperialistischen und einiger ausgewählter anderer Länder vergleichend entnehmen können. Hier wird sichtbar, dass das imperialistisch aufsteigende Land, welches eine Neuverteilung der Welt fordert und somit die imperialistische Hegemonie beansprucht, nicht Deutschland ist, sondern China – das noch vor kurzem die USA überholte. Eine pragmatisch-imperialistische Politik, die versucht, mit möglichst wenigen Blessuren davonzukommen und das Ziel verfolgt den eigenen Hinterhof zu erhalten, ist für Deutschland unvermeidbar. Als Beispiele für Länder, welche durch Deutschland ausgebeutet werden, ist das BIP von Griechenland und der Ukraine aufgeführt. Diese Daten werden dazu beitragen, den Hinterhof Deutschlands zu definieren.

Tabelle 1: Vergleich des BIP (PPP) Mio. in internationalen Dollar der aufgelisteten ersten acht Länder und anschließend auch der Türkei, der Ukraine und von Griechenland. (Quelle: http: //statisticstimes.com/economy/countries-by-projected-gdp.php).

Grafik 1

zeigt, dass Deutschland in dieser Schlacht um die imperialistische Hegemonie nicht allein existieren kann, sondern, dass nur, wenn die EU als eine politische sowie ökonomische Einheit auftritt eine Chance besteht. In dieser Hinsicht gibt es jedoch große Schwierigkeiten. Erstens hat die EU vom Austritt Großbritanniens schwere Wunden davonzutragen.

Zweitens konnten nach der Krise von 2008 die Ausbeutungsverhältnisse zwischen den nördlichen und südlichen Staaten nicht weiter verschleiert werden, und die Trennungstendenzen wurden verstärkt.

Die Niederlande, Schweden, Finnland und Dänemark begannen eine eigene Front gegen die politischen Pläne Deutschlands zu bilden. Während die Krise der imperialistischen Hegemonie sogar innerstaatliche Politik spaltete, wurde es immer unmöglicher für die EU als eine Einheit zu agieren. Beispielsweise scheint die in letzter Zeit verstärkter auftretende Annäherungstendenz Frankreichs zur USA, für Deutschland weitere Schwierigkeiten zu offenbaren. Außerdem besteht für die EU Länder die Gefahr, dass sich die Union spaltet, in ein amerikanisches und ein russisches Lager. Und Deutschland nimmt eine interessante ambivalente Haltung gegenüber Russland ein. Deutschland beteiligt sich einerseits mit den NATO-Einheiten an der Belagerung Russlands und andererseits wird ständig betont, dass man keinen Krieg mit Russland will. Einerseits wird wegen der Ukraine das Embargo gegen Russland unterstützt und andererseits wird Herr Schröder in die Leitung des Erdgasprojektes North Stream platziert, das Deutschland Erdgas liefern soll. Man könnte auch sagen, dass Deutschland, genauso wie die Türkei, im einfachen Ballwechsel zwischen diesen Fronten steht. Während die Differenzen mit den USA immer größer werden, versucht Deutschland in einem Balanceakt die eigene Position in der EU zu stabilisieren.

Grafik 1: Vergleich des BIP im Verhältnis zwischen der Europäischen Union (EU) und anderen imperialistischen Staaten.
(Quelle: http://www.wiki-zero.com/index.php?q=aHR0cHM6Ly9lbi53aWtpcGVkaWEub3JnL3dpa2kvTGlzdF9vZl9jb3VudHJpZXNfYnlfR0RQXyhQUFAp)

China handelt gezielt in Deutschland, baut Investitions- und Handelsbeziehungen zügig aus und führt damit zu einem weiteren Spaltungseffekt. Grafik 2 zeigt die Direktinvestitionen Deutschlands und Chinas, im jeweils anderen Land und den, in den letzten zwei Jahren sichtbarer gewordenen Kauf deutscher Unternehmen durch chinesisches Privatkapital. Es ist auch bekannt, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschland und China stark ausgebaut wurden. Merkel hat in ihrer nun 13 Jahre andauernden Regierungszeit China neun Mal besucht. Die neue Seidenstraße, die Peking und Berlin miteinander verbinden soll, ist ein Hegemonieprojekt des chinesischen Imperialismus, bietet Deutschland aber sogleich Möglichkeiten die eigenen Märkte zu erweitern.

Grafik 2: Die rote Linie zeigt den Kapitaltransfer für die Jahre 2000-2016 des imperialistischen Deutschlands nach China. Die blaue Linie zeigt den Kapitaltransfer von China nach Deutschland, obwohl China ein Land ist, dass hauptsächlich durch Investitionen des internationalen Kapitals wachsen konnte. Diese Linie verdeutlicht auch, dass China 2010 begann in Deutschland zu investieren, aber dass dies in den letzten 2 Jahren enorm gestiegen ist (Http://www.dw.com/en/chinas-unsatisfied-hunger-for-german-companies/a-39658363)

Es wird behauptet, dass Deutschland die Militärausgaben gesteigert hätte. Grafik 3 zeigt anhand der langfristigen Entwicklung der Militärausgaben, dass anders als behauptet, keine sprunghafte Steigerung der Militärausgaben sich bestätigen lassen. Während die USA alle EU-Länder dazu anhält, bis zu 2% des BIP für militärische Ausgaben einzusetzen, liegen die Ausgaben in Deutschland bei rund 1,2%, und Deutschland scheint nicht gewillt zu sein die Ausgaben auf 2% zu steigern.

Deutschland plant keine Neuaufteilung der Welt. Vielmehr werden aufgrund bevorstehender Wirtschaftskrisen und der internationalen imperialistischen Konkurrenz, militärische Eingriffe in Länder, die unter der Hegemonie Deutschlands stehen und solche die sich Deutschland fügen würden, vorbereitet. Aufgrund der beiden zerstörerischen Kriege, stehen die deutschen Werktätigen, militärischen Interventionen im Ausland ablehnend gegenüber. Die führenden Instanzen des deutschen Imperialismus jedoch, sind andauernd darauf Bedacht, im Kampf um eine souveräne Machtposition, die eigenen Interessen in Hinsicht auf Rohstoffreserven, Handelswege, u.ä.  auch im Ausland zu führen. Beispielsweise geht es darum, dass wenn ein Land wie Griechenland beschließt, vorhandene Schulden an deutsche Banken Aufgrund einer bevorstehenden Wirtschaftskrise nicht zu zahlen, die Option einer militärischen Intervention vorzubehalten. Die Aufdeckung der Geschichte um die Spionageaffäre in den Jahren 2013-2014, kann mit der Bestrebung Deutschlands, sich als imperialistische Macht zu behaupten und somit sich von den USA abzukoppeln, erklärt werden. Denn der deutsche Staat (ab dem Föderalismus) als ein Standort der NATO und der Kontra-Guerilla, ist untrennbar mit den US-Geheimdiensten verschmolzen. Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass eine große und flexible Industriemacht wie Deutschland, sehr schnell aufrüsten kann, wenn sich die Machtpositionen auf der Welt verschieben sollte. Der Aufstieg faschistischer Politik sollte unter anderem auch aus dieser Perspektive betrachtet werden.

Grafik 3: Die Militärausgaben Deutschlands seit 1988 (Quelle: https: //tradingeconomics.com/germany/militärische Ausgaben)

Fazit:

Um diesem Thema gerecht zu werden, braucht es sicherlich einen längeren Artikel. Doch auch diese kurze Analyse zeigt, dass Deutschland versucht, sich von der USA abzukoppeln und in der Krise der imperialistischen Hegemonie den eigenen Einflussraum durch einen Balanceakt weiterzuführen. Einerseits gilt es die eigene Position innerhalb der EU zu behaupten, andererseits bilaterale Beziehungen zu Russland und China zu verdichten. Und in diesem Einflussraum wirken auch die konterrevolutionären Positionen mit, was mitbeachtet werden sollte. Denn es ist anzunehmen, dass bei Ausbruch eines imperialistischen Krieges auch in Deutschland und den Hinterhöfen Revolutionen angestoßen werden können.

(*) Aus der Zeitschrift „Boyun Eğme-Almanya“, Ausgabe: Mai/Juni 2018, Seiten: 4-7