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Es wurde in der Türkei
ein Solidaritätsrat gegründet

Der 13. Kongress der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) rief die Links-Intellektuellen des Landes auf, einen „Solidaritätsrat“ einzuberufen. Dieser Vorschlag der Partei stieß schnell auf eine breite, positive Resonanz und führte dazu, dass viele bekannte Persönlichkeiten zur Gründung eines entsprechenden Rates zusammenkamen. Einer von ihnen, der bekannte Ökonom Prof. Dr. Oğuz Oyan, gab dem Schriftsteller und Journalisten Osman Çutsay ein Interview, das in der Internetzeitung  www.halkweb.com.tr veröffentlicht wurde. In der folgenden Übersetzung des Interviews erklärt das Exekutiv-Mitglied des Solidaritätsrates den Zweck und die gesetzten Ziele.

Osman Çutsay: Wie es scheint soll der Solidaritätsrat außerhalb der bestehenden Opposition als eine Art Rettungsboot auf einem brennenden Schiff bzw. als Sammelpunkt zum Ausbruch in einer belagerten Burg dienen. Gab es sowas nicht schon einmal? Welche konkreten Aktivitäten plant ihr, um die Mängel an klassen- und aufklärungsbasierten Perspektiven der Linken zu überwinden?

Prof. Dr. Oğuz Oyan: Es ist nicht ganz richtig, zu behaupten, dass in der Türkei ein Mangel an Klassen- und aufklärungsbasierten Perspektiven der Linken vorherrscht und wir behaupten dies auch nicht. Das Problem ist viel mehr, dass die führende Oppositionspartei sich zwar als „sozialdemokratisch“ versteht und von der breiten Masse auch als Links empfunden wird, bei der Verteidigung der aufklärerischen Werte und des Laizismus aber sehr ängstlich agiert und hier in keiner Weise die Rede von einem klassenbewussten Handeln sein kann. Obwohl die Regierung beim Aufbau eines religiösen Regimes sehr weit gekommen ist, gilt deren Aussage von vor 10 Jahren, „Laizismus sei nicht gefährdet“, immer noch unwidersprochen. Das heißt, der Bedarf an einer starken, klassen- und aufklärungsbasierten linken Bewegung ist größer denn je.

Auf der anderen Seite möchten viele Intellektuelle und Denker, die sich zwar als Marxisten/Sozialisten/Kommunisten definieren,  aber keiner linken, klassen- und aufklärungsbasierten Partei angehören, von einer sozialistischen Front aus mit der Gesellschaft zusammenkommen. Deshalb war es zwingend erforderlich, eine neue Organisationsform auszuprobieren, um eine Brücke zwischen linker Intelligenzija und der breiten republikanischen sowie werktätigen Massen zu bauen.

Um genau diesen Bedarf zu decken, wurde der Solidaritätsrat ins Leben gerufen.

Osman Çutsay: Der Solidaritätsrat wirkt auch wie eine Art „Gründungsversammlung“. Die alte Gesellschaft verroht immer mehr, aber wir gehören weiterhin dieser Gesellschaft an. Wie will der Solidaritätsrat dieser Verrohung begegnen, welche Dynamiken wie in Gang setzen?

Prof. Dr. Oğuz Oyan: Der Solidaritätsrat ist, wie bereits bei der Antwort zu ihrer ersten Frage hervorgehoben, zwar nicht anspruchslos, jedoch wäre es übertrieben, von einer „Gründungsversammlung“ zu sprechen.

Der Solidaritätsrat wird dafür kämpfen die politischen und gesellschaftlichen Organisationen auf das Entwicklungslevel der Türkei anzuheben, weil in der letzten Zeit eine erhebliche Differenz zwischen diesen Leveln entstanden ist. Wir denken und hoffen, dass auf Grund der Mitgliederstruktur, der Solidaritätsrat als eine Plattform wahrgenommen wird, die innerhalb der politischen und gesellschaftlichen Bewegungen eine einflussnehmende Rolle haben soll. Je mehr sich dieser Einfluss unter dem Volk verbreitet, umso mehr wird der Solidaritätsrat die Möglichkeit haben, der Gesellschaft neue, über die allgemeine Verrohung hinausgehende Ziele zu zeigen.

Die Hauptdynamik, welche in der Türkei in Gang gesetzt werden sollte, ist das Zusammengehen der republikanisch/aufklärerischen Schichten mit den werktätigen Massen. Wenn der Solidaritätsrat dabei eine Rolle spielen kann, werden wir unseren Gründungszielen näherkommen.

Osman Çutsay: In dem Aufruf ist die Rede vom Bedarf nach aufklärerischer Werter innerhalb der Arbeiterklasse. Das Gegenteil ist auch richtig: Die Republik mit ihrer aufklärerischen Werter bedarf auch eine Arbeiterklasse. Wie kann man diese nun zusammenbringen? Warum befinden wir uns gerade jetzt in einer dafür günstigen Zeit?

Prof. Dr. Oğuz Oyan: Wie Sie sagten, bedürfen beide einander. Der Solidaritätsrat ist als Plattform ins Leben gerufen worden, weil dieser beidseitige Bedarf und in diesem Bereich eine ernste Lücke wahrgenommen wurde. Hier scheint ein Verweis auf unsere erste Antwort ganz nützlich.

Angesicht des breiten Interesses scheint der Solidaritätsrat zum richtigen Zeitpunkt gegründet worden zu sein. Vielleicht wäre es eine Frühgeburt geworden, wenn dieser gegründet worden wäre, bevor die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen und Bedürfnisse gereift waren. Die gesellschaftlichen Umstände bestimmen die Bewegungen und nicht umgekehrt.

Osman Çutsay: Mit welchen Mitteln gedenkt ihr vorzugehen bzw. auszubauen, um die Gesellschaft zu erreichen? Insbesondere im Medienbereich sowie bei der Organisation vor Ort?

Prof. Dr. Oğuz Oyan: Der Solidaritätsrat wird es bevorzugen, Schritt für Schritt vorzugehen und zu wachsen. Wir wollen zu keinem schnellen Kurzstreckenläufer werden. Wir wollen auch keine unrealisierbaren Hoffnungen wecken.

Unsere Mittel werden dementsprechend ausgewählt. In dieser ersten Phase werden wir zu aktuellen Themen aus der gesellschaftlichen Agenda unsere gemeinsame Positionierung und wenn vorhanden, unsere Vorschläge als kurze Kommuniqués, Reports oder Beschlussfassungen veröffentlichen. Das erste Report wird sich um die Fragestellung „Sollen die Schulen geöffnet werden?“ drehen. Die Problemlagen der Türkei und der Gesellschaft sind vielfältig. Genauso vielfältig ist die Mitgliederzusammensetzung des Solidaritätsrates auch. Deshalb werden wir versuchen, eine auf das reiche Wissen unserer Mitglieder aufbauende Plattform zu werden. Auch mit Hilfe der breiten Netzwerke des Solidaritätsrates werden zu jedem Themenschwerpunkt Analysen und Vorschläge beigesteuert.

Bei der ersten Versammlung – wegen Covid-19 wird es wohl virtuell abgehalten – werden wir die Gelegenheit haben, über die Grundlagen, Art und Mittel unseres Kampfes zu diskutieren.

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Auch Prof. Korkut Boratav, der in der Türkei als „Professor der Professoren“ bezeichnet wird, ist dem Solidaritätsrat beigetreten.

„Das Manifest des Solidaritätsrates deckt die Forderungen und Sehnsüchte der Sozialisten aller Couleur, aller linken sowie revolutionären Kapitalismusgegnern ab. Natürlich bin ich deswegen beigetreten. Allen Freunden, die diese Bewegung in Gang gesetzt haben und hier zusammenarbeiten werden, wünsche ich viel Erfolg. Ich werde mein Bestes dazu beitragen.“