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Forderungen von Links für den Kampf
gegen Covid in Deutschland

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Haluk Arıcan

Besitzt die Epidemie, die die Welt erfasst hat, eine Klassenidentität? Natürlich handelt es sich hier nicht um den Virus selbst, das ist unmöglich. Wir wissen jedoch, dass die ergriffenen oder nicht ergriffenen, Maβnahmen zur Bekämpfung der Epidemie einen Klassengehalt haben. Dann sollten auch die Forderungen von links einen Klassengehalt und einen Adressaten haben, auch wenn es offensichtlich ist, dass diese Forderungen aufgrund der Klassenstruktur nicht umgesetzt werden. Selbst wenn die Forderungen der Maβnahmen gegen die Bourgeoisie sind, ist der Adressat der Staat, die Regierung. Dies ist nicht nur deshalb wichtig, weil das Wesen der Klasse übersehen wird, sondern um ihre positive oder negative Reaktion zu erzwingen und diese Reaktion für die Werktätigen erkenntlich zu machen.

Können Forderungen, deren Adressat unbekannt ist, die nur die Solidaritätsgefühle der Menschen ansprechen, die das Ziel so weit erweitern, dass überhaupt dadurch Ausreden für die Verantwortlichen entstehen, selbst wenn sie von der Linken ausgedrückt werden, als „linke“ Forderungen akzeptiert werden, die den Kampf vorantreiben?

Nicht um es abzuschlagen, aber um Grenzen zu setzen, kann man drauf eine kurze Antwort geben: Auch wenn sie von links kommen, Forderungen ohne Klassenbasis mögen zwar Resonanz erzeugen, sind aber dennoch keine sozialen Forderungen der Linken. Nicht weil die Forderungen falsch sind, sondern weil sie keine Klassenbasis haben. Forderungen ohne Klassenbasis können auch kein politisches Gewicht haben.

Kann das Null-Covid-Ziel mit einer Null-Klasse erreicht werden?

Diese lange Einführung wurde gemacht, um die Forderungen der „Zero Covid“ -Bewegung (#ZeroCovid) anzusprechen, die von der Mehrheit der marxistischen Organisationen und Bewegungen in Deutschland allgemein begrüβt wird, und dessen Reflexion bei den Linken.

Einer der ersten Anrufe, die diesbezüglich Echo fanden, wurde vor der Zero Covid-Bewegung gemacht. Das von einigen Wissenschaftlern angefordert Ziel zur Bewältigung der Epidemie, die Fallzahlen unter die derzeitigen Ziele zu senken, also die Zahl neuer Fälle pro 100.000 Einwohner in einer Siedlung auf weniger als 50 pro Woche zu senken, ist als „No Covid“-Forderung bekannt. Sie sind auch gegen weitere sozialen Einschränkungen.

Die Zero Covid-Forderung, also die Fallzahlen auf Null zu senken,  dagegen ist das Ergebnis einer neuen Initiative, die mit einem im Internet angekündigten Aufruf einer Gruppe von Wissenschaftlern, Ärzten, Pflegepersonal und Künstlern in den Vordergrund trat. Diese Gruppe fordert Null Covid, also wie der Name der Bewegung andeutet, keine Reduktion der Fallzahlen, sondern eine vollständige Senkung auf nahezu Null, d. h. die totale Besitigung des Virus.

Um dies zu erreichen, befürworten sie die vollständige Einstellung der Arbeit in allen Geschäftsbereichen für einen Zeitraum von mindestens 3 Wochen, mit Ausnahme der systemrelevanten Sektoren, die für ein gesundes soziales Leben erforderlich sind. Auf diese Weise wird verhindert, dass sich der Virus ausbreitet und dass, so wie jetzt, während kleine Läden und Geschäfte geschlossen sind, Millionen von Werktätigen täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit pendeln und an Arbeitsplätzen als Massen in Kontakt treten.  

Sie wollen, dass diese Maßnahmen in ganz Europa (EU) umgesetzt werden, weil das europäische (gemeint eigentlich die EU) Kapital, das in großer Konkurrenz zueinander steht, nicht einwilligt im Ausbeutungswettbewerb sonst in Rückstand zu geraten, während die anderen Unternehmen in Nachbarländern weiter produzieren dürfen.

Die Zero Covid-Forderer sind sich bewusst, dass ein Total-Lockdown von drei bis fünf Wochen, für Millionen von Werktätigen das pure Desaster bedeutet, wenn sie keine finanzielle Unterstützung erhalten, und betonen, dass die finanzielle Unterstützung für sie eines der Grundelemente der Forderung ist. Während sie die Erbringung dieser Hilfsmittel für alle Bedürftigen fordern, verlangen sie auch für Obdachlose den epidemischen Maßnahmen entsprechende Unterkunft zur Verfügung zu stellen.

Den Forderungen nach soll die Finanzierung all dieser Maßnahmen, ohne dass die Unternehmen direkt miteinbezogen werden, indirekt, also anhand einer „Covid Solidaritäts Steuer“ für die Reichsten der EU geleistet werden.

Darüber hinaus werden als Forderungen zur Bewältigung der Pandemie erwähnt, das Gesundheitssystem zu verbessern, die Personallücke zu schließen und die Löhne zu verbessern. Außerdem wird mit Betonung auf die negativen Einwirkungen der Profitorientierung im Gesundheitswesen die Rücknahme der bisheriger Schließungen der (aufgrund vermeintlichen Verlusten)  Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gefordert.

Die radikalste Forderung ist die Verstaatlichung der bisher privatisierten Gesundheitsunternehmen.

Gleichzeitig wird gefordert, dass die Produktion von Impfstoffen in Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Unternehmen erfolgen soll, daneben wird hervorgehoben, dass Impfstoffe globales Gemeingut sind und der privaten Profiterzielung von Unternehmen entzogen werden sollten.

Die Forderung nach solidarischer Umsetzung der Maßnahmen für die ganze Gesellschaft wird wiederholt betont.

Es sollte verständlich sein, dass die Forderungen dieser Initiative, die in der EU und insbesondere in Deutschland, Österreich und den Kantonen der (nicht-EU-Mitglied) Schweiz, wo mit wenig Ausnahme kommunistische Parteien und Organisationen ziemlich schwach, die antikommunistische Hysterie jedoch äußerst stark ist, auf Echo von links stößt.

Den Schwerpunkt im letzten Teil der Erklärung bildet die Aussage, dass eine Demokratie ohne Gesundheitsschutz sinnlos und zynisch sei und dass Gesundheitsschutz ohne Demokratie in einen autoritären Staat führen werde. Die Betonung auf den Ausweg, dass Gesundheit mit einer Solidaritätsstrategie rechtsstaatlich gelöst werden könne, ist eigentlich die Zusammenfassung des mittleren Wegs, der von Anfang an das Wesentliche der Erklärung aussagt.

Ziel der Forderungen sind nicht, wie bereits oben erwähnt, Einzelstaaten, sondern die Europäische Union insgesamt.

Der Teil der Forderungen, der sich auf den Kapitalismus bezieht, weist Parallele auf zu den Forderungen von ATTAC, die vor Jahren immerhin Begeisterung bei den Linken ausgelöst, jedoch zu keinem Ergebnis geführt hatte.

Eine zentrale Anforderung an die  EU-Institutionen zu stellen bedeutet anzunehmen, dass diese Institution und ihre Mitgliedstaaten ihre Politik bedauern, während der Pandemie sich gegenseitig die Masken beraubt und Hilfen verweigert zu haben. Dass es nicht auch nur den geringsten Hinweis gibt, der eine Grundlage für diese Annahme bieten könnte, zeigt nur, dass diese Anforderungen nichts weiter als eine Ausrede fürs Nichtstun sind. Selbst, wenn wir davon träumten, dass die EU ihre eigene Klassenbasis verraten und eine klassenübergreifende Position einnehmen würde, würde das interne Prozedere der EU und der Verlauf des  anschließenden Entscheidungsverfahrens der Mitgliedsstaaten eine längere Zeitspanne in Anspruch nehmen, als die Pandemie selbst. 

Diese Maßnahmen solidarisch, ohne die Interessen der Kapitalklasse zu stören und zu Gunsten aller sozialen Klassen umzusetzen, wäre vielleicht teilweise im realen Sozialismus denkbar, jedoch ist heute jede Grundlage und Wahrscheinlichkeit dafür ausgeschlossen.

Den EU-Präsidenten oder die „Regierung“ als Ansprechpartner herbeizurufen,  deren Verantwortung und Autorität nicht einmal klar ist und die Massen an ihrer Ernennung oder Änderung nicht einmal durch Wahlen direkt beteiligt sind, geschweige denn durch Straßendemonstrationen, bedeutet, abgesehen von ihren Absichten, die Massen  mit Traumbildern irrezuführen.

In einer Klassengesellschaft dienen aus diesem Grund „links“ klingende Forderungen, die die Klasse ignorieren, letztendlich nur den Interessen der Bourgeoisie. Es ist nicht erforderlich , die Bourgeoisie dafür konkret zu unterstützen, denn ein Beitrag zur Zerstörung der Energie und Hoffnungen der arbeitenden Massen durch falsche Träume führt zum gleichen Ergebnis.

Obwohl der Ausweg aus den Positionen der Werktätigen und der Ausweg der marxistischen Linken auf Hoffnung beruht, muss diese Hoffnung eine ausgefüllte, realisierbare Hoffnung, eine mit dem Sozialismus verbundene Hoffnung sein.

Falsche Hoffnungen führen zu Verzweiflung und einfache Lösungen werfen die Massen in die Arme  der Klassenfeinde.

Auf dem Weg zum Sozialismus waren die Schwächen und Hindernisse, vor der die kommunistischen Bewegung vor einem Jahrhundert stand, größer als heute.

Wer nicht den richtigen Weg und die richtige Richtung wählt, kann auch das richtige Ziel nicht erreichen. Die Klassenpolitik ist die einzige Lösung, die uns in diesen dunklen Tagen erleuchten wird.