„Was war los?“

1. Mai in der Türkei

Am 1. Mai, dem Tag der Einheit, des Kampfes und der Solidarität, gingen die Werktätigen in der Türkei auf die Straße und füllten die Plätze in fast allen Städten. Die Augen waren jedoch auf den Taksim-Platz(1) gerichtet, der von der Regierung mit 42.000 Polizisten blockiert wurde.

Die Gewerkschaften und Parteien, die den Willen zeigten, dieses Jahr auf den Taksim-Platz zu gehen, wiesen auf Saraçhane vor dem antiken, byzantinischen Wasserversorgungsbogen als Treffpunkt hin. Die Arbeiterinnen und Arbeiter versammelten sich in Saraçhane, um gegen die willkürliche Verhängung des Ausnahmezustands durch die Regierung und die Blockade der Eingänge zum Taksim-Platz zu protestieren und versuchten, die Polizeibarrikaden zu überwinden. Ekrem İmamoğlu, der Bürgermeister der Stadt Istanbul, und Özgür Özel, der CHP-Vorsitzende, der zum 1. Mai aufgerufen hatte und versuchte, den 1. Mai unter die Obhut seiner Partei zu nehmen, waren ebenfalls anwesend. Als İmamoğlus Name vom Lautsprecherwagen der DİSK verkündet wurde, skandierte der TKP-Tross, der die größte Gruppe bildete, “TÜSİAD raus”.(2) Nachdem sie vor der Presse eine Erklärung über die Bedeutung der 1. Mai-Feierlichkeiten in Taksim abgegeben hatten, stiegen die beiden CHP-Politiker in ihre Autos und verließen das Gelände.

Die Polizei ging dann gegen die Arbeiter vor und griff sie mit Gas, Schilden und Gummigeschossen an. Teams der Bereitschaftspolizei begannen, in das Saraçhane-Gebiet einzudringen.

Als die Polizei in Saraçhane mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Arbeiter vorging, beschloss das Organisationskomitee der Gewerkschaften, nicht weiter zu marschieren. “Die vom Organisationskomitee organisierte Aktivität ist mit der Entscheidung des Organisationskomitees beendet worden”, hieß es in der Ankündigung aus dem Lautsprecherwagen. Diese Ankündigung wurde mit Buhrufen quittiert. Ohne einen Versuch, dort eine Kundgebung zu organisieren, verließ auch das Organisationskomitee den Platz und ließ tausende Demonstranten ohne Führung zurück.

Während des Polizeieinsatzes wurden zahlreiche Personen verletzt und festgenommen. TKP-Generalsekretär Kemal Okuyan betonte die Sinnlosigkeit der Verbote der Regierung und kritisierte die schlechte Vorbereitung und schnelle Resignation der Gewerkschaften und der Oppositionspartei CHP. “Wir werden diesen Unsinn nicht länger mitmachen. Der 1. Mai gehört der Arbeiterklasse der Türkei und denen, die ihn verdient haben, nicht denen, die ihn zu einem politischen Manöver opfern”, hieß es. Daraus versteht man, dass die TKP die Organisation der zukünftigen 1.-Mai-Demonstrationen nicht in die Hände der gelben Gewerkschaften und der CHP legen wird.

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(1) Taksim ist der Platz im Herzen von Istanbul, an dem am 1. Mai 1977 Unbekannte mit Gewehren mit langen Läufen ein Blutbad anrichteten.

(2) TÜSİAD: Verband der türkischen Industriellen und Geschäftsleute