TKP – Zentral Komitee

Die Fragen der Türkei dürfen nicht Kommissionen überlassen werden – DIE GEFAHR WÄCHST STETIG

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) teilt nach ihrer letzten Sitzung folgende politische Einschätzung mit der Öffentlichkeit:

1. Es hat sich gezeigt, dass der sogenannte „neue Lösungsprozess“, den die Regierung beharrlich unter dem Titel „Eine Türkei ohne Terror“ verfolgt, von den direkt Beteiligten jedoch unterschiedlich benannt wird und nicht als ein geplanter und zielgerichteter Prozess aller Regierungsorgane verläuft. In diesem Sinne kann nicht von einer Staatsräson gesprochen werden. Der Prozess entwickelt sich im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Syrien und der gesamten Region offensichtlich unter dem Einfluss internationaler Akteure wie Großbritannien, Israel, den USA und Frankreich. Auch auf Seiten der PKK, DEM, İmralı* und SDG/PYD ist keine einheitliche Herangehensweise erkennbar.


2. Unabhängig von Inhalt und Richtung ist es eine große Gefahr für unser Land und unser Volk, wenn eine politische Kraft, die ein Land wie die Türkei regiert, eine „Initiative“ mit großen Worten verkündet, während zugleich Planlosigkeit und Verwirrung herrschen. Unsere Partei weist seit Jahren darauf hin, dass das deutlichste Beispiel für diese Verwirrung der Widerspruch zwischen dem Ziel der „territorialen Integrität Syriens“ und der in den letzten 15 Jahren verfolgten Syrien-Politik ist. Doch diese Verwirrung hat sich inzwischen zu einem politischen Wahnsinn gesteigert – mit der Behauptung, dass die territoriale Integrität Syriens nur dadurch gewährleistet werden könne, dass sich alle der Dschihadistengruppe unter der Führung von Al-Scharaa unterwerfen. Al-Scharaa steht im Dienst Israels, Großbritanniens und der USA. Ganz gleich, wie sehr man ihn reinwaschen oder polieren will – die Tatsache, dass er ein Verbrecher ist, bleibt bestehen. Im Gegenteil: Es kommen neue Verbrechen hinzu. Die Regierung bürgt für Al-Scharaa und erklärt im Grunde: „Er steht auch in unserem Dienst.“


3. Sagen wir es deutlich: Niemand, der in Syrien lebt, würde seine Zukunft in die Hände von Al-Scharaa legen. Die derzeit in Damaskus herrschende HTS kann – ob Sunnit, Alevit, Kurde oder Druse – niemandem eine Perspektive bieten. Al-Scharaa und seine Organisation verfügen zudem über keinerlei Macht, um Syrien zu regieren. Dass die Regierung nun versucht, gemeinsam mit Scharaas Milizen – die Israel als Vorwand für eine dauerhafte Präsenz in Syrien nutzt – die syrische Bevölkerung gefügig zu machen, trägt lediglich dazu bei, die Legitimität der Republik Türkei in den Augen bestimmter Kreise infrage zu stellen. Und ganz besonders die in jüngster Zeit fast schon als politischer Kunstgriff dargestellten Ideen – wie etwa „gemeinsam mit den USA zu handeln, um Israels Pläne zu durchkreuzen“ – sind nichts als gefährliche Illusionen, die unser Volk sehenden Auges ins Verderben führen.


4. Die AKP kritisiert seit Jahren frühere Regierungen und die oppositionelle CHP dafür, eine „ängstliche Außenpolitik“ vertreten zu haben. Die TKP wird weder die Außenpolitik der alten Regierungen noch die der CHP verteidigen. Doch die heutige Außenpolitik, die als „mutig“ und „interaktiv“ vermarktet wird, ist unabhängig von ihrem Inhalt widersprüchlich und wirkt wie ein Flickenteppich – so sehr, dass sich eine Regierung, die mit Israel in Syrien ein Kräftemessen vorbereitet, sich nicht einmal mehr symbolisch an Gaza erinnert, das inzwischen kurz vor der Auflösung steht.


5. Es kann keine Außenpolitik unabhängig von der Innenpolitik geben. Die Widersprüche in der Außenpolitik der AKP resultieren aus ihren innenpolitischen Präferenzen. In diesem Sinne bleiben auch die innenpolitischen Ziele des „Lösungsprozesses“ unklar. Darüber hinaus zeigt sich die Regierungskrise auch in diesem Bereich und verschärft sich zunehmend. In der Türkei gibt es keine eigenständige „Kurdenfrage“ oder „Terrorfrage“. Ein System kapitalistischer Ausbeutung, das unser Land an den Rand des Untergangs gebracht und unserem Volk seine Lebensperspektive geraubt hat; eine politische Struktur, in der religiöse Sekten ihre Herrschaft erklärt haben und in der Republik und Laizismus systematisch angegriffen werden; eine internationale Ausrichtung, die auf blutiger Zusammenarbeit, schmutzigen Deals und Konkurrenz innerhalb des imperialistischen Systems beruht – ein solches System kann kein einziges Problem lösen. Unser Volk muss sich um ein Programm scharen, das keinen dieser grundlegenden Punkte ausklammert. Man kann nicht marktliberal aber gleichzeitig demokratisch, laizistisch aber gleichzeitig NATO-freundlich, proamerikanisch aber gleichzeitig freiheitsliebend sein!


6. Deshalb lehnen wir Fragen wie „Bist du für eine Lösung oder dagegen?“ oder „Willst du Frieden oder nicht?“ entschieden ab. Wir wollen jedes Problem lösen – natürlich wollen wir Frieden. Doch wir haben nicht die Absicht, NATO-gesteuerte Lösungen, das Infragestellen von Lausanne und der Republik, das neo-osmanische Projekt, ein auf ethnischen Identitäten basierendes politisches System oder die Vermarktung des Ummah-Gedankens zu akzeptieren. Wir sind nicht gegen alles – wir sind gegen ein System, das unser Land und unser Volk ins Unglück stürzt, gegen ihre Politiker und ihre Politik.


7. Die Einsetzung von Kommissionen im Zusammenhang mit dem Lösungsprozess und einer neuen Verfassung wirkt zunehmend befremdlich – vor allem, weil nicht einmal die Beteiligten, insbesondere die Regierung, klar sagen, was sie eigentlich wollen. Die TKP hat wiederholt betont, dass diese Regierung keine Legitimität besitzt, eine neue Verfassung zu erarbeiten. Andererseits befürworten wir, dass sämtliche Fragen in der Türkei öffentlich diskutiert werden. Doch das kann nicht mit einem bloßen „Kommt, lasst uns diskutieren“ geschehen. Solange die Akteure ihre L#ösungsvorschläge nicht offen, sondern hinter verschlossenen Türen oder in vagen und widersprüchlichen Formulierungen äußern, ist keine Diskussion echt. Das ist eine Falle. In diesem Sinne darf niemand in die Kommissionsfalle tappen. Alle Parteien sollten dem Volk offen und konkret darlegen, was sie über die grundlegenden Fragen des Landes – insbesondere über den Lösungsprozess – denken. Es genügt nicht, zu sagen: „Man muss darüber diskutieren.“ Das bedeutet nichts anderes als eine Täuschung des Volkes. Ihr könnt euch dem Volk nicht entziehen. Im vergangenen Monat haben wir den politischen Parteien einfache Fragen zur NATO-Mitgliedschaft gestellt. Die Antwort: nur Schweigen. Denn sie trauen sich nicht, dem Volk offen zu sagen: „Wir können auf die NATO nicht verzichten.“ Sie schämen sich für ihre Entscheidungen. Vom Regierungslager bis zur Opposition ist die Politik in der Türkei prinzipienlos, ängstlich und inkonsequent. Deshalb überlassen sie alles den Kommissionen. Die TKP verurteilt diese Kommissionspolitik und ruft unser Volk dazu auf, Stellung zu beziehen gegen die Unvernunft, die die Zukunft unseres Landes den Interessen und dem Erbarmen von Konzernen, islamistischen Sekten, der NATO und den imperialistischen Staaten überlässt.


Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Türkei
29.07.2025

*Die Insel İmralı dient als Gefängnis und ist bekannt für die Isolation, in der Öcalan seit seiner Verurteilung lebt