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Ein Interview mit Aida Touma-Sliman, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Israels (KPI) und Knesset- Abgeordnete*

Zuerst vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, unter diesen schwierigen Umständen mit uns zu sprechen. Mit den jüngsten Entwicklungen ist der Palästinakonflikt in eine neue und sehr komplexe Phase eingetreten.

Könnten Sie zunächst eine Einschätzung der aktuellen Situation bewerten? Warum haben die palästinensischen Organisationen, die die Operation durchgeführt haben, eine solche Initiative ergriffen?

Es ist vor allem im letzten Jahr immer deutlicher geworden, dass die israelische Regierung eine sehr rechte und faschistische Regierung ist. Diese Regierung hat jede Aussicht, die Besatzung zu beenden oder ein politisches Abkommen mit den Palästinensern zu erreichen, zunichte gemacht. Im Gegenteil, sie hat rasante Schritte unternommen, um das zu verwirklichen, was sie den großen Staat Israel nennt. Sie hat eine sehr, sehr gewalttätige Aggression an den Tag gelegt. Und die Siedler haben tagtäglich Angriffe verübt. Viele Palästinenser wurden getötet, Häuser wurden niedergebrannt. Es war klar, dass es einen Masterplan gab, um von der Möglichkeit, die israelische Besatzung zu beenden, abzurücken, den Palästinensern das Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern und die palästinensischen Gebiete zu kolonisieren. Das palästinensische Volk hingegen hat sich immer gegen die Besatzung gewehrt und erkennt es als ein Grundrecht an, sich ihr zu widersetzen und Widerstand zu leisten. Es war offensichtlich, dass die Politik der Netanjahu-Regierung und der Siedler zu einer großen Explosion führen würde. Aber ich muss darauf hinweisen, dass niemand, und wirklich niemand, erwartet hat, daß das Ausmaß dieser Explosion so erheblich sein würde.

Jetzt spricht die israelische Regierung davon, den Gazastreifen zu vernichten. Hunderte von Palästinenser, darunter auch Kinder, sind bisher bei israelischen Angriffen getötet worden. Wie weit kann die israelische Regierung Ihrer Meinung nach, bei den Angriffen auf Gaza gehen?

Sie kann viel weiter gehen, als normale Menschen wie ich oder Sie es sich vorstellen können. Leider denke ich, dass die Regierung die Unterstützung, die sie durch die Ereignisse vom Samstag erhalten hat, nutzen wird, und ich denke, dass die USA neben politischer Unterstützung auch militärische Unterstützung leisten werden. Sie werden all dies nutzen, um eine neue Situation zu schaffen. Die Annäherung an Saudi-Arabien in den letzten Monaten und die Schritte, Indien und Europa über Saudi-Arabien und Israel zu verbinden, waren natürlich Teil des Masterplans. Und natürlich wird auch die so genannte “ Bedrohung aus dem Iran“, von der die Israelis immer sprechen, genutzt, um einen äußerst aggressiven Krieg zu führen. In der Tat hat dieser Krieg in Gaza bereits begonnen. Die Menge des in Gaza verwendeten Sprengstoffs ist unglaublich. An einem oder zwei Orten in Gaza sollen an einem Tag 150 Tonnen Sprengstoff verwendet worden sein. Es gibt Stadtteile, die bereits von der Landkarte gelöscht wurden. Gestern sagte Netanjahu, er werde einen neuen Nahen Osten schaffen oder den Nahen Osten verändern. Ich befürchte, die Tatsache, dass sie im Norden eine Kriegsatmosphäre schaffen wollen, zeigt, dass wir wirklich auf einen großen Krieg zusteuern.

Könnte der Krieg unter diesen Umständen auf das Westjordanland übergreifen?

Das hat er bereits. Jeden Tag und jede Nacht kommt es im Westjordanland zu Zusammenstößen. Allein gestern wurden sieben Palästinenser an verschiedenen Orten im Westjordanland getötet. Die Aggression der israelischen Armee und der Siedler nimmt zu. Sie greifen an vielen Orten Menschen an. Es scheint sich um „kleinere Zwischenfälle“ zu handeln, über die in den Medien nicht berichtet wird. Wir erfahren davon aus den Beiträgen von Palästinensern in den sozialen Medien, die versuchen, die Wahrheit bekannt zu machen. Keiner spricht darüber. Man sieht nicht einmal das wahre Ausmaß dessen, was in Gaza geschieht.

Wie werden sich all diese Entwicklungen auf die in Israel lebenden Palästinenser auswirken?

Wir sind auch besorgt darüber, was hier passieren könnte, denn wir sehen die negativen Gefühle gegenüber Palästinensern, die israelische Staatsbürger sind. Sie sehen uns an, als ob wir der Hamas helfen würden. Tatsächlich wurden 16 Palästinenser, die israelische Staatsbürger sind, bei den Hamas-Angriffen am Samstag getötet, und 14 Palästinenser werden noch vermisst, und wir kennen ihr Schicksal nicht. Sie starben entweder bei den Zerstörungen durch die Raketen oder bei den Zusammenstößen zwischen den beiden Seiten. Wir haben das Gefühl, dass die Regierung eine große Bedrohung für Palästinenser darstellt, die israelische Staatsbürger sind. Wir fühlen uns zum Beispiel von der Armee bedroht, die mit Panzern und Infanterie in der Nähe der arabischen Dörfer und Städte im Norden platziert ist. Der israelische Verteidigungsminister hat alle aufgefordert, sich mit Waffen auszustatten und diese bei sich zu tragen. Vor einer Stunde erhielten wir die Nachricht, dass das Ministerium 4.000 Waffen gekauft hat, um sie an die Bürger Israels zu verteilen, und weitere 6.000 sind auf dem Weg. Sie militarisieren die Bevölkerung. Jeder einzelne von uns kann zur Zielscheibe werden.

In diesem Fall könnten nicht nur Palästinenser, sondern auch fortschrittliche Menschen in Israel, Kommunisten, Mitglieder der Kommunistischen Partei Israels zur Zielscheibe werden.

Das ist klar. Vor allem sind viele unserer tapferen Kameraden bedroht. In Tel-Aviv wurde versucht, eine Demonstration gegen den Krieg zu organisieren. Die Demonstranten wurden sofort und mit großer Gewalt angegriffen. Die faschistische Regierung lässt keine abweichende Meinung zu.

Vor einiger Zeit wurden groß angelegte Straßendemonstrationen gegen die Regierung organisiert. Angesichts der jüngsten Entwicklungen wurden diese Demonstrationen abgesagt. Können diese Demonstrationen wieder stattfinden?

Nicht nur diese Demonstrationen wurden abgesagt. Jetzt ist von einer Regierung der nationalen Einheit die Rede, die wahrscheinlich gebildet werden wird. Es scheint sicher, dass Gantz ihr beitreten wird. Lapid hingegen hat für ihre Beteiligung den Ausschluss von Ben-Gvir und Smotrich vorausgesetzt. Ich glaube aber nicht, dass Netanjahu sie ausschließen wird, aber ich denke, dass Lapid irgendwann dieser Regierung doch beitreten wird. Netanjahu will diese Regierung, weil er die volle Unterstützung der israelischen Gesellschaft für seine nächsten Schritte haben will. Es ist offensichtlich, dass uns lange Wochen des Kriegs bevorstehen.

In diesem Fall muss die ganze Welt ihre Solidarität mit den Palästinensern und mit den Kommunisten und Progressiven in Israel zeigen.

Im Vergleich zu dem, was in Gaza und im Westjordanland geschieht, ist die Lage hier noch ruhig. Wir verhalten uns auch verantwortungsbewusst. Wir wollen nicht, dass auch unser Volk eine Katastrophe erleidet. Jeder Schritt, den wir tun, ist maßvoll. Das bedeutet nicht, dass wir unseren Standpunkt ändern. Unsere Erklärung am ersten Tag war sehr klar. Aber wir wissen, dass diese Regierung nicht zurückschrecken wird, Massaker zu begehen, wann immer sie will. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Aber glauben Sie mir, was in Gaza und im Westjordanland geschieht, ist ethnische Säuberung, Massaker, Völkermord.

Gibt es noch etwas, das Sie hinzufügen möchten?

Wir brauchen die Solidarität aller Völker in der Region und auf der Welt. Wir wissen, dass die palästinensische Sache eine berechtigte Sache ist. Die Welt kann nicht heuchlerisch gegen dieses Verbrechen an den Palästinensern vorgehen.

(*) Dieses Interview wurde am 10. Oktober 2023 in der Internetzeitung der TKP veröffentlicht.