Artikel über die DDR

Anatomie eines Verrats: Lügen vs. Wahrheit

Das Märchen vom „Bankrott“ der sozialistischen Ökonomie in der DDR 

Haluk Arıcan

Seit Ende des historischen Bestehens der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) sind 30 Jahre vergangen.

Die immer wieder von der deutschen Bourgeoisie vertretene These besagt, die DDR sei aufgrund der fundamentalen Probleme seiner Wirtschaft kollabiert. Die in einem Fass ohne Boden verschwendeten hunderte von Milliarden Euro, die in den 30 Jahren nach Ostdeutschland transferiert wurden, haben zum Ergebnis: Erhöhte Arbeitslosigkeit, im Vergleich zum Westen des Landes niedrigere Löhne und Renten und die sich rasch entwickelnde faschistische Bewegungen. Wenn es nach Ihnen geht, ist dies alles das Erbe des Sozialismus.

Der auch von Teilen der deutschen marxistischen Linken akzeptierte Grund für den Untergang der DDR war – wenn auch ohne Konsens darüber, ob das Problem im Sozialismus lag – war die strenge zentrale Planwirtschaft.

Ihnen zufolge ging die DDR 1989 bankrott, weil die Wirtschaft ihre Auslandsschulden nicht begleichen konnte.

Das ist die Behauptung!

Aus den Ereignissen im benachbarten Griechenland wissen wir jedoch, wie es in der Praxis aussieht, wenn ein Staat bankrott ist. Das bankrotte Land kann seine Auslandsschulden nicht zurückzahlen, seine internen finanziellen Verpflichtungen nicht erfüllen, d. h. kann seinen Angestellten keine regelmäßigen und vollen Gehälter zahlen, die Banken lassen die Fensterläden herunter. Kollektive, große Entlassungswellen beginnen …

Dabei existierte keines dieser Indikatoren im sozialistischen Deutschland, das 1989 angeblich bankrott war.

Diejenigen, die heute immer noch dieser These nachgehen, führen die Mängel an zwei Grund-Konsumgütern in der DDR an: Bananen und Schokolade. Es gab also kein ernstzunehmendes Problem in Bezug auf Grundnahrungsmittel. Anders als heute, gab es keine Arbeitslosen, Obdachlosen, keine Menschen ohne Krankenversicherung. Noch wichtiger, es gab kein Problem in Bezug auf Zahlungen von Auslandsschulden.

Dass die Hauptgründe der Auflösung ideologische waren, die mit den Jahren massiv zunahmen und zu Lücken führten, die das Nacheifern von kapitalistischen Ländern verstärkten, bleibt unerwähnt. Was bleibt, ist die Behauptung, die DDR-Wirtschaft sei zusammengebrochen und stünde kurz vor dem Bankrott, weil sie nicht in der Lage gewesen sei ihre Auslandsschulden zurückzahlen.

AUF DEM WEG ZUM PALASTSTURZ!

Also, was war das Problem? Gibt es keine greifbaren Fakten für die These, die DDR sei Bankrott gegangen, weil sie ihre Auslandsschulden nicht begleichen konnte?

Die meisten offiziellen Berichte und wissenschaftlichen Forschungsergebnisse im Bundesgebiet zeigen, dass bis zum 1. Juli 1990 die DDR-Wirtschaft eine normale Entwicklung nahm. Es gab höchstens Anzeichen einer Rezession.

Die Kader, die Ende 1989 mit einer Palastrevolte an die Macht in der regierenden kommunistischen Partei kamen, änderten nach der Eliminierung hoher Kader den Namen der Partei in Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) und führten die Partei auf eine sozialdemokratische Linie über. Während die Regierung unter dem Ministerpräsidenten Hans Modrow das Land zu einer schnellen, wenn auch überwachten Marktwirtschaft unter Aufsicht der Bundesrepublik Deutschland machte.

Von 1986 bis 1989 stieg die industrielle Produktion der DDR stets mit geringen Raten. Die Produktion ging im November 1989 zum ersten Mal um 1,4 Prozent zurück, als der SED-Generalsekretär Erich Honecker entlassen und die Grenzen geöffnet wurden (der Fall der Berliner Mauer). Der Rückgang setzte sich im Januar 1990 mit einer hohen Rate von -3,2 Prozent fort. Im Februar 1990 stieg die Industrieproduktion jedoch gegenüber dem Vormonat um 2,2 Prozent und im März um 1,2 Prozent. Damit erreichte die Produktion im März 1990 das Niveau von Dezember 1989. Dies entsprach dem monatlichen Durchschnitt der Industrieproduktion von 1988. Darüber hinaus wurden die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer über den Inflationswert angehoben.

Am 18. März 1990 fanden in der DDR die Parlamentswahlen statt. Bei diesen „ersten demokratischen“ Wahlen der DDR, bei denen Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher Kundgebungen abhielten und zu Chefrednern wurden, gewannen deren Schwesterparteien die Wahlen, unterstützt mit Millionen von DM aus der Bundesrepublik Deutschland und mit einer Vielzahl von später unerfüllten Versprechungen westlicher Politiker.

Infolgedessen wurde am 12. April 1990 unter der Führung von Lothar de Maizière mit Unterstützung von Bundeskanzler Kohl eine Regierung gebildet. Die deutsche Bourgeoisie war besorgt über Gorbatschows Zukunft und wollte, dass die DDR so schnell wie möglich in die Bundesrepublik integriert wird. Unter diesen Umständen hat Ministerpräsident de Maizière am 1. Juli 1990 ohne ernsthafte Vorbereitung die Wirtschafts- und Währungsunion mit der BRD eingeführt. DM, die bundesdeutsche Währung, wurde zur offiziellen Währung der DDR. Damit war die Wirtschaft der DDR vollständig dem westdeutschen Kapitaldiktat unterworfen.

Diese Schocktherapie führte innerhalb eines Monats zum Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft. Die Industrieproduktion ging von Juli bis August 1990 um 34,9 Prozent zurück. Im August 1990 gegenüber dem Durchschnitt von 1989 um 47,9 Prozent. Eine vergleichbar enorme Zerstörung einer Industrie war zuletzt im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs zu verzeichnen. Gab es im Oktober 1989 fast keine Arbeitslosen, waren im April 1990 bereits 38.330 Menschen ohne Arbeit. Die Zahl der Arbeitslosen verzehnfachte sich in den folgenden vier Monaten und erreichte die Zahl 361.300. Und hier sind die ca. 1,5 Millionen Kurzarbeiter noch nicht mit einberechnet. Bis Ende 1991 hatte, sich die DDR bereits offiziell von der Bühne der Geschichte verabschiedet. In Ostdeutschland, dem im Kapitalismus großer Wohl- stand und blühende Landschaften versprochen wurden, sank das Bruttosozialprodukt der ehemaligen DDR im Vergleich zu 1989 um 77 Prozent. Angesichts dieser wirtschaftlichen und sozialen Zerstörung behaupteten bürgerliche Politiker, die Daten zur Wirtschaft der DDR vor 1990, offizielle Statistiken und auch offizielle Berichte seien allesamt falsch. Egon Hölder jedoch, Leiter des Statistischen Bundesamtes, erklärte auf der Hannover Messe im Frühjahr 1991, sie hätten die Daten des statistischen Amtes der Deutschen Demokratischen Republik monatelang sehr genau geprüft und die Statistiken seien weitgehend zutreffend.

EIN KOMPLOTT: DER SCHÜRERBERICHT

1992 kam ein unverhofft in den Archiven der DDR aufgetauchter Bericht dem deutschen Kapital zur Hilfe. Der Bericht wurde durch Planungsexperten unter dem Präsidenten der DDR-Planungskommission, Gerhard Schürer für das regierende SED-Politbüro erstellt. Dieser Bericht wurde auf Ersuchen von Generalsekretär Egon Krenz verfasst, der im Oktober 1989 nach dem Sturz von Honecker dessen Nachfolger wurde. Der Bericht skizzierte die wirtschaftliche Situation der DDR und prognostizierte mögliche Folgen.

Dem Bericht zufolge könne die DDR „Aufgrund der kritisch steigenden Auslandsschulden bei kapitalistischen Ländern“ Anfang 1990 bei den Rückzahlungen der Schulden in Schwierigkeiten geraten. Dies könne „nur durch harte Maßnahmen wie eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent verhindert werden. Im Ergebnis dessen würde das Land aber unregierbar werden …“

Die Auslandsverschuldung bei den kapitalistischen Ländern belief sich auf 50 Milliarden Valutamark (der auf DM indizierte DDR-Index), was ungefähr 26 Milliarden USD entsprach. Dem Bericht zufolge wurde der Zinsbetrag, den die DDR 1990 zu zahlen hatte, mit 8 Mrd. DM in Fremdwährung berechnet, was fast 50 Prozent über dem ungefährlichen Zins-BSP-Verhältnis lag. Alle Prognosen zeigten für die DDR Katastrophen auf.

Am Ende des Berichts wurden dringende Wirtschaftsreformen angemahnt, um diesem Trend zu entgegnen.

Die Mächtigen der Bundesrepublik, die bis dahin jedes offizielle Dokument der DDR misstrauisch betrachteten, hatten mit diesem Fund ein von den Kommunisten erstelltes „einzig wahres Dokument“ erhalten.

Die deutschen bürgerlichen Medien hatten die wahre Ursache für die soziale Katastrophe im Osten des Landes gefunden. Die Zerstörung wurde nicht durch den Kapitalismus verursacht, sondern durch den Sozialismus, der 1989 über- schuldet war, nicht mehr zahlungsfähig war und bankrottging.

Es war nicht mehr wichtig, dass der Bericht lediglich die Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit und nicht eines realen Bankrotts schilderte. Auch die führenden DDR-stämmigen Ökonomen behaupteten, das Land sei ohne die sowjetische Unterstützung schließlich dem Untergang geweiht. Ein bedeutender Teil dieser Zunft schien die DDR und den Sozialismus zu verteidigen, befürworteten jedoch eine durch Plan geflankte soziale Marktwirtschaft.

Die DDR-Wirtschaft zählte zu der Zeit vor dem Mauerfall zu den Top-20-Volkswirtschaften der Welt. Zwar konnte das Land als ein Industrieland mit enormem Produktionsanteil an Maschinenparks der Welt, nicht mit den wirtschaftlichen Leistungsbilanzen der BRD mithalten, befand sich aber nach einigen wissenschaftlichen Studien in Augenhöhe mit Frankreich und England.

Bereits Ende Mai 1990 gab Bundesfinanzminister Theodor Weigel bekannt, dass die DDR-Auslandsverschuldung rund 13 Prozent des BSP betrage und damit einem „relativ niedrige Auslandsverschuldung“ bestehe.

Nach Schätzungen von Detlef Carsten Rohwedder, dem ersten Leiter der Treuhand-Anstalt, in der alle staatlichen Unternehmen der DDR zusammen- geführt wurden, hätten knapp 80 Prozent dieser Unternehmen konkurrenzfähig weitergeführt werden können noch ineffizient war. Dennoch ist es zugegebener Weise schwierig, der These von der DDR-Wirtschaft die vor dem Kollaps stand zu entgegnen, wenn ein offizieller Schürer-Bericht behauptet, das Land stünde angesichts erdrückender Auslandsschulden kurz vor der Zahlungsunfähigkeit.

IM SCHÖNSTEN APFEL SITZT DER WURM!

Im Gegensatz zur deutschen Politik ließ die Bundesregierung die offiziellen Berichte der DDR mit dem Geld in den Kassen der Einrichtungen vergleichen. Das materielle Erbe der DDR sollte ja gerecht verteilt werden, die Schulden zulasten der Arbeiterklasse und dem Profit zugunsten der Kapitalklasse gehen.

Im August 1999, 10 Jahre nach Ende der DDR und kurz nach der Kohl-Ära, veröffentlichte die Bundesbank einen Abschlussbericht, in dem die gesamten externen Verbindlichkeiten sowie Forderungen der DDR aufgeschlüsselt waren.

Nach der endgültigen Bilanz des Berichts betrug die Auslandsverschuldung der DDR gegenüber den kapitalistischen Ländern Ende 1989 nach Verrechnung der offenen Forderungen netto 19,9 Milliarden Valutamark. Dies entsprach rund 12 Milliarden USD.

Laut diesem Bericht betrugen die verfügbaren Devisenreserven der DDR Ende 1989 rund 29 Milliarden Valutamark.

Bemerkenswert ist der enorme Unterschied zwischen den beiden Berichten über die Schulden der DDR. In dem für die SED-Administration erstellten Bericht wurden die Verbindlichkeiten gegenüber kapitalistischen Ländern auf 26 Milliarden USD taxiert, was mehr als 100 Prozent über den tatsächlichen Schulden lag.

Die Bundesbank stellte in ihrem Bericht fest, dass in dem Bericht der DDR, Teile der offenen Forderungen sowie die als Reserve gehaltenen Devisen nicht berücksichtigt wurden.

Wie konnten die DDR-Funktionsträger das nicht bemerken?

Wurden wichtige Informationen zur DDR-Auslandsverschuldung den Erstellern des Schürer-Berichts verschwiegen? Wenn ja, zu welchem Zweck?

Nun wissen wir mittlerweile, dass dieser Bericht auf Ersuchen einiger Mit- glieder des Politbüros und ohne Wissen von Honecker in den letzten Monaten seiner Administration informell beauftragt wurde. Der Bericht scheint darauf hinzuwirken, die Parteiführung um Honecker, die sich gegen die Einführung der an der Marktwirtschaft orientierten Gorbatschow-Linie in der DDR widersetzte, in Panik zu versetzen, um so den Widerstand zu brechen. Die Honecker-Ära endete, noch bevor dieser Bericht dem Politbüro vorgelegt wurde. Wir können getrost davon ausgehen, dass die Reformbefürworter im Politbüro, die den Sturz von Honecker herbeiführten, vom Ergebnis des Berichts zumindest in Teilen Kenntnis hatten.

Krenz, der wegen Honeckers Krankheit lange Zeit den Vorsitz in den ZK-Sitzungen innehatte, legte als er Generalsekretär geworden war, bei erster Gelegenheit diesen Bericht dem ZK vor und machte sich an die Aufgabe Reformgegner auszusortieren. Ein Pyrrhussieg! Krenz glaubte, auch mit diesen aufgeblasenen Zahlen zu Auslandsverschuldung die Unterstützung Gorbatschow´s sichern zu können, an dessen Treue zum Sozialismus er nicht zweifelte. Es passierte genau das Gegenteil. Gorbatschow prognostizierte einen baldigen und schnellen Bankrott der DDR und wollte die DDR an das bundesdeutsche Kapital verscherbeln, bevor es noch mehr an Wert verlor.

DER ‚REUE-ABEND‘ DER SÜNDER

Nach Jahren, nachdem die Bundesbank die wahren Zahlen zu Auslandsverschuldung der DDR veröffentlicht und in CDU-Konvents die unrichtige Behauptung wiederholt aufgegriffen wurde, die DDR sei wegen Auslandsschulden bankrott- gegangen, versuchte Egon Krenz seine Ära reinzuwaschen und gab dabei aufrichtige Geständnisse ab.

In einem Interview anlässlich des 25-jährigen Jahrestags von 1989 sagte er zum Schürer-Bericht: „Schürer und seine Genossen mögen die Situation dramatisiert und einen kritischen Moment thematisiert haben, damit Wirtschaftsreformen schnell umgesetzt werden. Auf keinen Fall hat Schürer aber diesen Bericht in böser Absicht bzw. als Propagandainstrument gegen die DDR und für ein späteres CDU-Kongress verfasst.“

Dass die deutsche Bourgeoisie den Bericht gegen die Deutsche Demokratische Republik einsetze, sei unfair, da dieser Bericht „lediglich verfasst worden sei, um die Reformgegner des SED-Zentralkomitees zu täuschen“. Natürlich war Krenz einer der am besten informierten.

Heute ist klar, dass die Deutsche Demokratische Republik 1989 wirtschaftlich nicht vor dem Bankrott stand und es auch keine solche Gefahr gab.

Es ist jedoch sicher, dass die führenden Kader der DDR, ihren Glauben an den Sozialismus verloren hatten.

Sicherlich ist es wichtig, dass die Wahrheit am Ende nun ans Licht kommt, doch die Bourgeoisie hat diese Lüge trotzdem nicht aufgegeben. Eine seit 30 Jahren fortgeführte ideologische Lüge kann nicht nur durch das Schreiben der Wahrheit beseitigt werden, sondern viel mehr und vor allem durch die Verschärfung des Kampfes für den Sozialismus in Deutschland. ■