TKP – Zentral Komitee

Die Kommunistische Parteien trafen sich in Istanbul und bewerteten die Entwicklungen in der Region

Eröffnungsrede von TKP-Generalsekretär Kemal Okuyan beim EKA-Treffen in Istanbul

Die Europäische Kommunistische Aktion (EKA, englisch: European Communist Action, ECA) wurde am 19. Januar 2025 in Istanbul einberufen und von der Kommunistischen Partei der Türkei ausgerichtet. Die Parteien, die an dem Treffen unter dem Titel „Entwicklungen im Nahen Osten – Wir stärken unsere Solidarität mit den Völkern Palästinas, des Libanon und Syriens“ teilnahmen, tauschten sich über die Entwicklungen im Nahen Osten aus. Die Eröffnungsrede hielt TKP-Generalsekretär Kemal Okuyan.

Liebe Genoss:innen,

Vertreter:innen der Parteien der Europäischen Kommunistischen Aktion (EKA), die hier bei uns sind oder online an der Sitzung teilnehmen, ich grüße Euch alle solidarisch.

Die Entscheidung für dieses Treffen fiel, als die Massaker in Palästina und im Libanon noch andauerten und der Machtwechsel in Syrien noch nicht vollzogen war. Es ist offensichtlich, dass wir in einer Zeit leben, in der sich die Entwicklungen beschleunigen. Für uns Kommunist:innen stellt sich die Frage, ob wir in der Lage sind, die notwendige Antwort auf die Rasanz dieser Flut zu geben, oder ob wir zulassen, dass uns die Ereignisse nur als neutrales Element mit sich reißen.

Im Namen der Kommunistischen Partei der Türkei begrüße ich Euch noch einmal ganz herzlich. Heute möchte ich einige kritische Punkte in Bezug auf die Entwicklungen hervorheben, die sich seit einiger Zeit in unserer Region abspielen, und die Haltung unserer Partei zu diesen Themen zusammenfassen. Dieses Resümee wird auch einige politische, theoretische und praktische Aussagen enthalten.

Zunächst einmal müssen wir klären, welche Hauptdynamiken hinter den Entwicklungen in der Welt und in dieser Region steht. Die erste ist – einschließlich die Auflösung der Sowjetunion – die historische Operation der USA und ihrer Verbündeten, unter Einsatz von Instrumenten wie der NATO, gegen die politische Struktur, die das direkte oder indirekte Ergebnis der Oktoberrevolution und des Zweiten Weltkrieges war. Dieser Prozess führte zum Ende der internationalen Struktur, die auf zwei gegensätzlichen Gesellschaftssystemen mit der UdSSR und den USA im Zentrum basierte, und die imperialistischen Länder versuchten, durch Kriege, Besetzungen, Blockaden und Sanktionen die Hindernisse zu beseitigen, die die Bewegungsfreiheit der multinationalen Monopole und des Kapitals im Allgemeinen einschränken. Die Zersplitterung der Länder, die Beschränkung der Entscheidungsbefugnisse der Länder durch die Europäische Union, weit verbreitete Privatisierungen und die Beschneidung der Errungenschaften der Arbeiterklasse, Konterrevolutionen und bunte Revolutionen sind weitere Merkmale dieser Periode. Dieser Prozess dauert an. Der Zerfall Jugoslawiens, die Besetzung des Irak und die jüngsten Entwicklungen in Syrien sind untrennbar miteinander verbunden. In all diesen Prozessen haben sich verschiedene Brennpunkte des Widerstands gegen die Intervention der imperialistischen Länder herausgebildet. Neben den Kämpfen der Arbeiterklasse und der revolutionären Kräfte, die in jeder Region und in jedem Land, angefangen bei Jugoslawien, im Irak, in Syrien und ähnlichen Ländern, unterschiedliche Auswirkungen hatten, ist ein Gegengewicht entstanden, das die Interessen eines Teils der Bourgeoisie widerspiegelt und sich manchmal auf einer nationalistische und manchmal auf eine religiöse Ideologie stützt, daneben wurde im 20. Jahrhundert versucht, den Status quo zu erhalten. Einer der Gründe für das Erstarken dieses Widerstandes liegt in den zunehmenden Widersprüchen zwischen den führenden Ländern wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die in dem oben erwähnten historischen Prozess mit den Vereinigten Staaten agiert haben. Andere Länder versuchten, diese Widersprüche zu nutzen, um den Druck, dem sie ausgesetzt waren, zu verringern.

Die zweite Tatsache, die wir in den heutigen Entwicklungen berücksichtigen müssen, ist, dass die Widersprüche und Rivalitäten innerhalb des imperialistischen Systems einen neuen Inhalt bekommen haben. In den Jahren nach der Auflösung der Sowjetunion fühlten sich die Vereinigten Staaten durch die wirtschaftliche Konkurrenz Japans und später Deutschlands bedroht, konnten aber ihr eigenes Bündnissystem und ihre Hegemonie aufrechterhalten. Mit dem raschen Aufstieg Chinas zu einem Akteur außerhalb dieses Bündnissystems entstand jedoch nach einiger Zeit eine neue Dynamik auf der internationalen Bühne. Neben China hat sich auch Russland gegen den vom US-Imperialismus angeführten Block positioniert, dem sich einige andere kapitalistische Länder angeschlossen haben, die ein größeres Stück vom Kuchen abhaben wollen, und versucht, die Ausdehnung der NATO auf einen großen Einflussbereich einschließlich Osteuropas und der Sowjetrepubliken durch Gegenmaßnahmen zu stoppen. Die neue Achse, die sich herausgebildet hat und versucht, sich durch Plattformen wie die BRICS zu konsolidieren, versucht einerseits, ihre Position inmitten der heftigen Konkurrenz und des Konflikts innerhalb des imperialistischen Systems zu stärken, während sie andererseits versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen, indem sie einige bürgerliche Regierungen oder Länder wie Kuba für sich gewinnt, die aus ideologischen und Klassenmotiven direkt ins Visier genommen werden und seit Ende der 80er Jahre über den ständigen Angriff der Neuen Weltordnung besorgt sind. Jede einzelne Entwicklung in der heutigen Welt ist entweder ein direktes Produkt dieses Kampfes innerhalb des imperialistischen Systems oder steht im Einflussbereich dieses interimperialistischen Konflikts. Die Widersprüche und Konfrontationen innerhalb des imperialistischen Systems haben jedoch nicht das Ende der US-zentrierten Aggression bedeuteten, die seit der Auflösung der UdSSR andauert. Im Gegenteil, sie haben ihr eine neue Dimension verliehen.

Es gibt noch ein drittes Phänomen, das – wenn auch nicht mit der gleichen Intensität wie die beiden genannten Dynamiken – ebenfalls die aktuellen Entwicklungen in der Welt beeinflusst. Die Interessenskonflikte zwischen den verschiedenen Kapitalgruppen in den einzelnen Ländern ergeben sich aus dem gierigen Charakter des Kapitalismus. In der imperialistischen Phase haben die Beschleunigung der Kapitalbewegungen, die ständige Verlagerung von Unternehmen und die Unterbrechung und Neugestaltung von Partnerschaftsstrukturen ein Umfeld geschaffen, in dem die nationalen Identitäten der Unternehmen untergraben werden. In einem solchen Kontext ist es natürlich, dass mehrere Staaten in diese Interessenkonflikte hineingezogen werden. Nie zuvor in der Geschichte gab es jedoch ein solches Maß an Spannungen innerhalb der Kapitalistenklasse der führenden imperialistischen Länder. Insbesondere die Entwicklung der anhaltenden Spannungen in den USA wird schwerwiegende Auswirkungen sowohl auf die USA als auch auf den Rest der Welt haben. Wir müssen diese Dynamik erkennen, die wir berücksichtigen müssen, wenn wir uns mit internationalen Entwicklungen befassen.

Die Entwicklungen im Nahen Osten müssen unter Berücksichtigung all dieser Dynamiken bewertet werden.

Die seit mehr als einem Jahr andauernde israelische Aggression in Palästina, die neue und immense Dimensionen angenommen hat, muss als Fortsetzung der Bestrebungen der imperialistischen Länder gesehen werden, sich von allem zu befreien, was von der Welt, in der die UdSSR existierte, übrig geblieben ist. Mit der Betonung des Klassencharakters der Ereignisse in Gaza hat unsere Partei auf die Fehler hingewiesen, die sich aus einer Bewertung der Frage aus religiösen oder nationalen Gründen ergeben würden. Die Quelle der Immunität Israels auf der internationalen Bühne ist die Unterstützung dieses Staates durch die Macht des Geldes, wobei das jüdische Kapital viel mächtiger ist als das palästinensische Kapital und die palästinensische Bourgeoisie keinerlei Verbindung zur verarmten Bevölkerung in Gaza hat. Abgesehen von den symbolischen Protesten einiger Länder oder der Haltung des Iran, der versucht, den Widerstand für seine eigenen Ziele zu unterstützen, war Gaza in dieser Zeit kein Schlachtfeld für einen Wettbewerb oder Konflikt innerhalb des imperialistischen Systems, und das palästinensische Volk wurde sich selbst überlassen.

Es ist unwahrscheinlich, dass es einen nennenswerten Widerstand gegen die so genannte Lösung geben wird, die dem palästinensischen Volk aufgezwungen wird. Die Fortsetzung der israelischen Aggression, die sich sogar auf das Westjordanland konzentriert, die Ausweitung der besetzten Zone in Syrien, die Luftangriffe auf den Libanon und die Möglichkeit für Israel, sein Image durch einen Regierungswechsel aufzufrischen und seine Beziehungen zu den Ländern der Region, einschließlich der Türkei, zu erneuern, werden nicht überraschen. So hat das Massaker in Gaza die verdeckten oder indirekten Beziehungen zwischen Israel und vielen arabischen Ländern sowie der Türkei nicht beeinträchtigt. Der enge Verbündete der Türkei, Aserbaidschan, unterhält enge Beziehungen zu Israel, insbesondere in den Bereichen Energie und Rüstung, was in diesem Zusammenhang sicherlich zu berücksichtigen ist.

Die Ausschaltung der widerstandsfähigeren der Hamas-Führung, die der verarmten Gaza-Bevölkerung im Gazastreifen näher stand, und die Rückkehr der Organisation unter die Kontrolle des türkisch-katarischen Duos wird wahrscheinlich zu einer kompromissbereiteren Haltung des palästinensischen Widerstands führen. In diesem Szenario besteht die einzige Möglichkeit für die progressiven, revolutionären und kommunistischen Kräfte in Palästina, wieder an Einfluss zu gewinnen, darin, dass die verarmten Palästinenser:innen, die täglich die harte Realität des Klassenkampfes erleben, eine strategische Erneuerung ihres Kampfes für einen unabhängigen palästinensischen Staat einleiten und den Kampf von einer nationalen und religiösen Plattform auf eine klassenbasierte Grundlage stellen. Dies ist in der Tat eine dringende Aufgabe für die gesamte Region, wie die Entwicklungen in Syrien deutlich zeigen.

In diesem Zusammenhang sind die jüngsten Entwicklungen in Syrien von großer Bedeutung. Der Prozess, der zum Sturz der Baath-Regierung in Syrien geführt hat, hängt einerseits mit der konterrevolutionären Periode zusammen, die mit der Auflösung der Sowjetunion begann, und andererseits mit den Widersprüchen innerhalb des imperialistischen Systems verbunden. Es überrascht nicht, dass die Hintermänner der vor 14 Jahren gegen Syrien begonnenen Operation fast die gleichen sind wie die Organisatoren der letzten und „erfolgreichen“ Operation. Zusammen mit den USA, Großbritannien, Israel, der Türkei und anderen Akteuren haben sie nun nach vielen Jahren das Ergebnis erzielt, das sie anstrebten.

Viele betonen, dass das aktuelle Ziel der Iran ist. Die Tatsache, dass einige Personen, die die türkische Regierung repräsentieren oder ihr nahestehen, dies offen zum Ausdruck bringen, sollte besonders ernst genommen werden. Die Eskalation der Spannungen zwischen Aserbaidschan und dem Iran ist auch vor dem Hintergrund der engen Beziehungen Aserbaidschans zu Israel zu sehen. Die aserbaidschanische und kurdische Bevölkerung im Iran sollten als sensible Punkte für jede gegen das Land gerichtete Operation angesehen werden. Das Hauptproblem des Iran besteht zweifellos darin, dass eine volksfeindliche Regierung das Land seit Jahren zu Finsternis und Armut verdammt. Ähnlich wie in Syrien sind der Wille und die Entschlossenheit großer Teile der Bevölkerung, das Land gegen die imperialistische Aggression zu verteidigen, geschwächt.

All diese Entwicklungen stehen im Zusammenhang mit den Bestrebungen eines Teils der türkischen Bourgeoisie, ihren regionalen Einfluss durch eine neo-osmanische Perspektive unter Ausnutzung des islamistischen Charakters der AKP zu vergrößern. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass es innerhalb der kapitalistischen Kreisen in der Türkei zwei unterschiedliche Interpretationen gibt. Die einen verweisen auf den unaufhaltsamen Aufstieg der Türkei und feiern die Entwicklungen mit einer festlichen Stimmung. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die argumentieren, dass die Türkei in eine Falle getappt ist und behaupten, dass die Türkei nach dem Iran als Nächstes dran sein wird.

Beide Ergebnisse ergänzen sich gegenseitig. Wir wissen, dass der türkische Kapitalismus eine imperialistische Entwicklung durchläuft, dass er trotz der Schwachstellen in seiner Wirtschaft über eine ernstzunehmende industrielle Infrastruktur verfügt und dass die türkischen Monopole in Asien, Europa, Afrika und sogar Lateinamerika stark vertreten sind. Die Präsenz der türkischen Armee in verschiedenen Ländern und die Entwicklungen in der türkischen Rüstungsindustrie verstärken diese Tendenz noch zusätzlich. Es gibt keinen Weg zurück, aber es ist klar, dass es für die Türkei sehr schwierig sein wird, durch die Schaffung einer sunnitisch-islamischen Achse und eines so genannten kurdischen Friedens zum dominierenden Land in der Region zu werden. Diese Region ist ein scharfes Konfliktgebiet, und keine regionale oder globale Macht wird die Türkei als starken Akteur hier akzeptieren. Aus diesem Grund warnt die TKP, „dass die Türkei kleiner werden oder gar verschwinden kann, wenn sie versuche zu expandieren.“. Dies sollte nicht nur als politische und moralische Haltung der TKP gegen expansionistische Politik, sondern auch als realistische Einschätzung betrachtet werden.

Wir sind der Ansicht, dass die folgenden Fragen von den EKA-Parteien eingehend erörtert werden sollten:

Welche Haltung sollten die kommunistischen Parteien in einer Zeit, in der Grenzen durch imperialistische Operationen verändert werden oder für mögliche Veränderungen ins Spiel gebracht werden, einnehmen und wie sollten sie kämpfen?

Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um zu verhindern, dass sich muslimische Migranten dschihadistischen Bewegungen anschließen, die auch in Europa zu einem internen Problem geworden sind und in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu einer wichtigen gesellschaftlichen Realität werden?

Ist es an der Zeit, das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, das bei der Behandlung der nationalen Frage im Vordergrund stand und zeitweilig die Klassenperspektive überlagerte, zu überdenken und neu zu bewerten?

Wir sind zuversichtlich, dass unsere Parteien ihren Teil dazu beitragen werden, diese und ähnliche Fragen mutig, prinzipienfest und kreativ zu beantworten. Auch die TKP wird sich an diesen gemeinsamen Anstrengungen beteiligen.

In unserer Region und in der Welt gehört die Zukunft der Arbeiterklasse, gehört die Zukunft den Kommunisten.

27. Januar 2025