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Die Türkei und die sozialistische Revolution:
Rennen wir einem Traum hinterher?

Die Frage „Glaubst du wirklich an die Revolution?“ wird wahrscheinlich nicht nur Kommunisten der Türkei gestellt.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind nun 32 Jahre vergangen. Wir nannten das 20. Jahrhundert die Ära des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Im letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts und in der Zeit danach haben wir kein einziges Beispiel gesehen, das „Übergang zum Sozialismus“ bedeuten könnte. Die Klassenkämpfe dauerten fort und nahmen in einigen Ländern zeitweise sehr scharfe Formen an; Straßen, Fabriken, Armenviertel wurden mobilisiert; es gab spannende Entwicklungen in Lateinamerika; aber wenn wir das Gesamtbild betrachten, gab es keinen sozialistischen Durchbruch, an den sich Milliarden von Menschen in der Welt, die unter dem gegenwärtigen System leiden, mit Hoffnung wenden.

Daher ist die Frage „Glauben Sie wirklich an die Revolution und den Sozialismus?“ eine völlig legitime Frage, es sei denn, sie entspringt der zynischen Unterstellung eines Liberalen oder eines Verräters.

Noch interessanter ist, dass Kommunisten aus verschiedenen Ländern begonnen haben, sich diese Frage gegenseitig zu stellen. Ich persönlich kann sagen, dass ich die folgende Frage schon mehrmals gestellt bekommen habe:

„Glaubst du wirklich, dass es in der Türkei eine sozialistische Revolution geben wird?“

Die Betonung auf die Türkei ist hier zweifellos wichtig. Diese Frage bedeutet: „Warum wird ein Ziel, das anderswo vielleicht erreichbar, in der Türkei aber unmöglich ist, zur Hauptstrategie gemacht?“

Immerhin ist die Türkei ein NATO-Mitglied, das seit Jahren ein Vorposten der USA ist. Es handelt sich um eine konservative Gesellschaft, die den Sozialismus erschwert, zusätzlich zu dem großen Gewicht des politischen Islam. Wir sprechen von einem System, das es sich zur Gewohnheit gemacht hat, die revolutionäre Bewegung durch Militärputsche, politische Morde und Massaker zu unterdrücken. Trotz all ihrer Bemühungen kann die kommunistische Partei bei den Wahlen nicht einmal 1 Prozent erreichen.

Warum setzt sich die TKP in einem solchen Land keine realistischeren Ziele, sondern spricht beharrlich von der Aktualität der sozialistischen Revolution?

Ich werde versuchen, diese Frage zu beantworten, aber zunächst werde ich einen moralischen Akzent setzen, den ich für ebenso wertvoll halte wie eine theoretische und politische Erklärung.

„Sehen wir aus wie Lügner, Heuchler…“

Wenn uns die Werktätigen in unserem eigenen Land in gutem Glauben fragen, ob wir „an die Revolution glauben“, antworten wir ihnen mit dieser Gegenfrage.

Das ist sehr wichtig, denn wenn wir nicht an die Aktualität der sozialistischen Revolution glauben würden, wäre die kommunistische Partei unserer Meinung nach überflüssig. Wie wir immer sagen, ist der Kampf für den Frieden, für die Demokratie, für die Menschenrechte sehr wichtig, aber für diese Ziele ist es nicht notwendig, eine kommunistische Partei oder Kommunist zu sein.

Ja, wir glauben an die sozialistische Revolution. Oder noch, wir glauben an die sozialistische Revolution in der Türkei.

Es hat einen moralischen Aspekt, aber nicht nur das.

Lassen Sie uns zunächst ein wenig über die objektiven Bedingungen sprechen. Als die Republik Türkei gegründet wurde, war eines der Probleme unseres Landes die Unterentwicklung des Kapitalismus. Die Arbeiterklasse war zahlenmäßig klein, und obwohl Sowjetrussland ganz in der Nähe lag, waren die materiellen Bedingungen für eine Organisation, die den Befreiungskrieg gegen die imperialistische Besatzung in den Sozialismus tragen würde, sehr schwach. Trotz der rasch wachsenden Popularität der Kommunisten in Anatolien in den 1920er Jahren, war es war für sie fast unmöglich, zur hegemonialen Kraft zu werden.

Das Hauptproblem der Türkei ist schon seit längerem der Kapitalismus selbst. Mit anderen Worten: Das Problem ist nicht mehr, dass sich der Kapitalismus nicht entwickelt, sondern dass er sich entwickelt.

Es ist absurd, die Türkei als ein rückständiges Land zu betrachten, geschweige denn, sie in der triadischen Einteilung, die in der Komintern manchmal zu folgeschweren Irrtümern führte, irgendwo zwischen der dritten und zweiten Gruppe einzuordnen.

Auf jeden Fall ist es heute sinnvoll, solche Kategorisierungen zu vermeiden. Der Kapitalismus hat die Welt zu lange beherrscht. Ja, wir können das Adjektiv „rückständig“ noch für einige Länder verwenden, aber wir können die Welt nicht mit den Kriterien der 1930er Jahre bewerten. Die Türkei keineswegs…

In der Türkei gibt es genug Proletarier, um eine revolutionäre Umwälzung anzuführen. Wir können sagen, dass die werktätigen Klassen eine ausgewogene Struktur in Bezug auf Kopf- und Armarbeit und in Bezug auf die volkswirtschaftlichen Grundsektoren haben.

Die Türkei hat einen bedeutenden Industrialisierungsprozess hinter sich gelassen und verfügt über eine nicht zu unterschätzende Infrastruktur. Man kann sagen, dass die Wirtschaft der Türkei, die über autarke Ressourcen in der Landwirtschaft verfügt, neben den aus dem Kapitalismus hervorgehenden tief verwurzelten Problemen, zusätzlich nur das Problem der Energieabhängigkeit hat. Es ist aber eine Tatsache, dass es Ressourcen vorhanden sind, die dieses Problem verringern könnten und die heute nicht genutzt werden.

Rein objektiv betrachtet verfügt die Türkei also über die für eine Revolution notwendige Klassenbasis und die für den Aufbau des Sozialismus notwendigen materiellen und menschlichen Ressourcen.

Und die Türkei ist ein äußerst instabiles Land. Stabilität ist ein relativer Begriff. Aber wir wissen, dass Stabilität eine große Garantie für die Bourgeoisie in der kapitalistischen Welt ist. Wirtschaftliche und politische Stabilität bedeutet, dass das Kapital weiterhin in der Lage ist, das werktätige Volk zu beherrschen. In diesem Sinne hat die bürgerliche Diktatur in der Türkei keine Chance. Das Land ist auf Verwerfungslinien aufgebaut, die wirtschaftlich, politisch und ideologisch nicht zu reparieren sind.

Dahingehend wäre es höchst irreführend, die Türkei auf einen starken Staat und eine religiös geprägte Gesellschaft zu reduzieren.

In der Türkei fehlt es nie an gravierenden gesellschaftlichen Widersprüchen und Polarisierungen, die auch den Staat selbst betreffen.

Wir wissen, dass sozialistische Revolutionen im einfachen Sinne nicht aus dem Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital entstehen. Außerdem trägt kein revolutionärer Aufstand von Anfang an einen „sozialistischen“ Charakter. Die zugrundeliegende Ursache sind natürlich immer Klassenwidersprüche, aber sie werden entweder durch einen Krieg, einen großen Justizskandal oder Korruption ausgelöst. Manchmal führt ein politischer Mord zum gegenteiligen Ergebnis und es entsteht eine Volksbewegung, mit der die Herrschenden nicht gerechnet haben.

In dieser Hinsicht ist die Türkei ein Land voller Überraschungen. Die Wahrscheinlichkeit plötzlicher Entwicklungen, oft unangenehm, aber manchmal auch aufregend und hoffnungsvoll, ist aus der revolutionären Perspektive gesehen, natürlich eine Möglichkeit.

Man kann ohne weiteres sagen, dass die Türkei mit ihrer Bevölkerung, ihrer Wirtschaft, ihrem Proletariat, ihren Intellektuellen, ihrer geografischen Lage und natürlich ihren endlosen Widersprüchen die objektiven Bedingungen für einen revolutionären Umbruch in sich trägt.

Dieser Begriff mag in Vergessenheit geraten sein, aber die Türkei ist eines der schwachen Glieder in der imperialistischen Kette.

Somit können wir die Frage, ob wir an die sozialistische Revolution in der Türkei glauben oder nicht, unter dem Gesichtspunkt des subjektiven Faktors beantworten.

Aus unserer Sicht ist die grundlegende Frage ganz einfach die folgende: Was sollten wir im Falle eines revolutionären Aufstandes in der Türkei heute tun, um eine historische Chance nicht zu verpassen?

Erstens muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass Revolutionen das Ergebnis eines linearen Wachstums der Arbeiterbewegung und der Kommunisten als ihrer Avantgarde sein können. Dies ist ein Hirngespinst, weil es auf der Annahme beruht, dass der Kampf für den Sozialismus aus aufeinander folgenden und vorhersehbaren Etappen besteht.

In Wirklichkeit besteht der Kampf für den Sozialismus jedoch darin, sich auf plötzliche Entwicklungen vorzubereiten, die man mit einer realistischen und revolutionären Perspektive nicht im Voraus wissen kann. Wir können die Entwicklungen nicht in all ihren Dimensionen im Voraus wissen, aber wir können feststellen, an welchen Punkten sich die Widersprüche in jedem Land anhäufen, welche gesellschaftlichen Teile welche ideologisch-politischen Empfindlichkeiten haben und wir können uns entsprechend positionieren.

Die Grundvoraussetzung dabei ist die Organisierung und Verankerung in der Arbeiterklasse. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass diese Organisierung und Verwurzelung nicht den Charakter einer Bindung der Arbeitermassen an den Status quo haben, wie wir es in Deutschland vor 1914 erlebt haben.

Das ist nicht so einfach, wie es scheint. Es sollte ganz klar sein, dass die laufenden Kämpfe und Organisationen rund um die aktuellen Bedürfnisse und Forderungen der Arbeiterklasse, insbesondere die Löhne, nicht notwendigerweise eine Schule für die Revolution bedeuten. Im Gegenteil, wir haben in mehr als einem Beispiel schmerzhaft erfahren, dass aktuelle Errungenschaften sowohl die Arbeitermassen als auch ihre Avantgardepartei in einer revolutionären Situation erstarren lassen können.

Die kommunistischen Parteien dürfen sich nicht mit einer Bürde belasten, die sie schwerfällig macht, wenn es zu einem revolutionären Aufschwung kommt. Die TKP legt zwar großen Wert auf Wahlerfolge und die Stärkung der Gewerkschaften, vergisst dabei aber nicht, dass die hier errungenen Positionen, wenn nicht die nötige ideologisch-politische Konsequenz an den Tag gelegt wird, die Arbeiterbewegung (oft ohne es zu wissen) an das System binden.

Wir handeln nicht mit der Einfalt, uns hinter dem bolschewistischen Experiment zu verstecken. Es stimmt, dass die Bolschewiki ihren Einfluss von Ende 1916 bis Oktober 1917 mit einer Geschwindigkeit vergrößerten, die niemand erwartet hatte. In diesem Sinne beruht die Aussage „Die Bolschewiki waren auch eine kleine Partei…“ natürlich auf einer historischen Tatsache. Solange sie aber für sich allein steht, führt sie in die Irre. Kleinheit und Größe sind relative Begriffe. Die Bolschewiki haben ihren Einfluss nicht nur 1917, sondern auch schon vor Kriegsbeginn rasant ausgebaut. Ganz zu schweigen von der enormen politischen und organisatorischen Arbeit nach 1903, mit ihren Höhen und Tiefen.

Daher ist es eine Selbsttäuschung, wenn man jahrelang unwirksam bleibt und sagt, „die Bolschewiki waren klein“.

Aber Tatsache ist: Die Bolschewiki haben sich nie an den Institutionen der Ordnung gemessen. Sie hatten ihre eigenen Kriterien. Einige Elemente der Vorbereitungsperiode sind in der Geschichtsschreibung sehr hervorgehoben worden, andere wurden heruntergespielt. Aber wir wissen, dass die bolschewistische Partei ihre eigene Agenda hatte, während alle anderen politischen Bewegungen mit „kleinen“ Berechnungen in der „großen“ Welt der Bourgeoisie beschäftigt waren, und in diesem Sinne spielten sie ein „Spiel“, das von außen betrachtet kindisch aussah.

Als dann die große Politik auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wurde, stellte sich heraus, dass die Bolschewiki kein Spiel spielten, sondern im Gegenteil eine sehr große Aufgabe in Angriff nahmen und erfolgreich wurden.

Die TKP hat nicht die Absicht, die Bolschewiki zu imitieren. Aber es ist wichtig für uns, die Bolschewiki und die erfolgreichen oder fast erfolgreichen Beispiele, die nach ihnen kamen, zu verstehen.

Die revolutionäre Bewegung in der Türkei hat keine Chance auf Erfolg, indem sie die Eins zu Zwei, und die Zwei zu Drei macht, oder mit einem linearen Wachstum, mit einer arithmetischen Steigerung. Trotz ihres konservativen Erscheinungsbildes ist die Türkei ein Land, in dem sich politische und ideologische Gleichgewichte sehr, sehr schnell ändern können. In diesem Land ist es wertvoller, an die Interventionspunkten anzuknüpfen und in die richtige Richtung zu intervenieren, als sich an Zahlen und Mengen zu orientieren.

Das ist es, worum sich die TKP bemüht.

Zweifellos spürt die TKP den Druck der in der kapitalistischen Ordnung geltenden Erfolgskriterien unter Bedingungen, in denen ein revolutionärer Aufschwung nicht spürbar wird und die breiten Massen weit von der politischen und ideologischen Energie entfernt sind, die notwendig wäre, um diese Ordnung zu ändern. Es gibt eine gut gemeinte Erwartung bei denen, die uns zwar mögen, aber nach Kriterien wie Popularität, Mediatisierung, parlamentarischer Vertretung suchen und unsere Existenz auf der gleichen Ebene mit der bürgerlichen Politik sehen wollen. Sie wollen konkret den Erfolg der Partei sehen, an die sie glauben und die sie sich in gewisser Weise aneignen.

Das Problem dabei ist nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass bürgerliche Institutionen, eine kommunistische Partei – wenn sie nicht wachsam sind- von revolutionären Werten abbringen können. Viel gefährlicher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine kommunistische Partei, die beginnt, die durchschnittliche Erwartung in der Gesellschaft anzusprechen, von diesem Durchschnitt bestimmt wird und einen ideologischen und politischen Charakter annimmt, der diesem Durchschnitt entspricht.

Man sollte nicht vergessen, dass jedes Land in dieser Hinsicht ein anderes politisches Klima hat. In der Türkei, wo das Klassenbewusstsein einen extrem schwankenden Verlauf nimmt, müssen wir daran denken, dass nur ein sehr begrenzter Teil der Arbeiterklasse eine dauerhafte, unveränderliche revolutionäre Position vertritt. Zu wissen, dass vorzeitige Massifizierungs-Prozesse unseren historischen Aufgaben schaden können, bedeutet nicht, dass wir Angst haben müssen, uns zu organisieren und zu wachsen. Aber wir können immer noch sagen, dass wir Anpassungen vornehmen können, indem wir die bisherigen Erkenntnisse des Marxismus-Leninismus nutzen, um die am besten geeignete Abmessung je nach der Situation der sozialen Dynamik zu bestimmen.

Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zu denjenigen sagen, die die „demokratische Revolution“ oder einen Demokratisierungsprozess, der sich über einen langen Zeitraum erstrecken wird, als revolutionäre Etappe vor der sozialistischen Revolution in der Türkei sehen.

Die Debatte über die „nationale demokratische Revolution“ und die „sozialistische Revolution“ war das wichtigste Thema der 1960er und 70er Jahre unter den Linken in der Türkei. Die Verharmlosung dieser Debatte im Laufe der Zeit war das Ergebnis davon, dass ein bedeutender Teil der Linken die Idee der „Revolution“ explizit oder implizit aufgegeben hat. Heute gibt es in der Türkei nur sehr wenige Menschen, die offen eine Strategie der „demokratischen Revolution“ verfolgen.

Die TKP hat in diesen Debatten restlos entschieden die „Strategie der sozialistischen Revolution“ verteidigt. Seit Jahren argumentieren wir, dass die Etikettierung der Perspektive der sozialistischen Revolution mit „Trotzkismus“ letztlich ein Dienst am Trotzkismus ist. Als Partei, die „die stalinistische Tradition verteidigt“, wurde diese Position von uns bis vor kurzem als recht interessant angesehen.

Wie ich schon sagte, hat diese Debatte heute ihre vormalige Bedeutung verloren. Aber die Idee, dass die Türkei zuerst „Demokratie“ erreichen muss, hat sich nie geändert.

Und dann gibt es auch diejenigen, die meinen, dass die Türkei vor dem Sozialismus zuerst „unabhängig“ sein muss.

Wir wissen, dass diejenigen, die sagen, dass zuerst die Demokratie kommen muss, sich oft auf Lenin berufen. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, aber Folgendes wird vergessen: Lenins Schriften über die „demokratische Revolution“ wurden geschrieben, als bürgerliche Revolutionen in Russland und vielen anderen Ländern noch eine objektive Realität waren. Die bürgerlichen Revolutionen waren als objektive Tatsache eine von der Strategie der Bolschewiki unabhängige Realität.

Diese Periode ist völlig abgeschlossen. Für Lenin war der Aufbau der bürgerlichen Demokratie nie eine strategische Aufgabe gewesen, aber die Prozesse der bürgerlichen Revolutionen komplizierten die Sache, und die Arbeiterbewegung musste sich auf diese Prozesse beziehen. Nachdem die Periode der bürgerlichen Revolutionen vorbei war, kann das Verhältnis der kommunistischen Parteien zum Aufbau der Demokratie nur im Kontext der sozialistischen Demokratie behandelt werden.

Die Idee einer unabhängigen Türkei, die dem Sozialismus Vorrang einräumt, stellt ein noch größeres Problem dar. Die Forderung nach Unabhängigkeit der Türkei stand immer auf der Tagesordnung der Kommunisten. Die TKP hat nicht nur den Unterschied zwischen dem Patriotismus der Arbeiterklasse und dem Nationalismus hervorgehoben, sondern auch theoretische Interventionen vorgenommen, die diesen Unterschied vertieft haben.

In der heutigen Welt, im Kapitalismus, ist es jedoch nicht möglich, dass ein Land „unabhängig“ ist. Mit „unabhängig“ meinen wir natürlich nicht „isoliert“. „Unabhängigkeit“ ist die Fähigkeit eines Landes, seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Präferenzen und Entscheidungen im Einklang mit seiner eigenen inneren Dynamik zu bestimmen. In diesem Sinne sollte die Unabhängigkeit zusammen mit dem Konzept der Souveränität betrachtet werden.

Solange die Herrschaft der internationalen Monopole besteht, erzeugen alle kapitalistischen Länder eine Abhängigkeit von diesem internationalen System, und zwar eine allumfassende Abhängigkeit. Es ist offensichtlich, dass das Ziel, „unabhängig“ zu werden, ohne den Kapitalismus zu stürzen, keinem anderen Zweck dient, als dass dieses Land in der imperialistischen Hierarchie aufsteigt. Für Kommunisten ist es undenkbar, an einem solchen Ziel mitzuwirken.

Was bleibt, ist die Idee einer Demokratisierung der Türkei, ohne einer revolutionären Etappe. Eine Zeit lang wurde dies mit der Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union gleichgesetzt. Die TKP lehnte diese Idee sehr stark ab, blieb fast allein innerhalb der Linken. „Wir wissen, was die EU ist, aber auch die dortigen Freiheiten sind für uns sehr wertvoll“, sagten die liberalen Linken.

Was sie nicht verstanden, war, dass es in Europa keine bessere, tolerantere Kapitalistenklasse gab. Der Kontinent war durch starke demokratische Massenbewegungen und das historische Aufkommen der Arbeiterklasse gekennzeichnet. Hinzu kam die privilegierte Stellung der wichtigsten europäischen Länder im imperialistischen System, und es war nicht verwunderlich, dass die werktätigen Massen relativ mehr Rechte genossen.

Die jüngste Geschichte hat jedoch gezeigt, wie fragil diese Rechte sind. Die geringste Beeinträchtigung der Herrschaftsfähigkeit der Bourgeoisie und die Verschärfung der Wirtschaftskrisen würden den ganzen Glanz der „europäischen Demokratie“ zunichte machen. Natürlich denkt man zuerst als aller erstes an den deutschen Faschismus, aber wir alle wissen, dass das Deutschland von 1933-45 nur ein Kapitel in einer blutigen Geschichte ist.

Heute sind die bürgerlichen Demokratien in Nordamerika und Europa die Länder, in denen die bürgerlichen Diktaturen am stärksten befestigt wurden. Nicht nur, weil sie das Zuckerbrot gut einsetzen; in diesen Ländern ist auch die Peitsche in den Händen des Kapitals sehr stark.

Wer meint, der Übergang vom Zuckerbrot zur Peitsche sei das Ergebnis der Maßlosigkeit der Kommunisten oder anderen Revolutionären, der irrt sich gewaltig. Das ist so, als würde man die Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 auf die „linke“ Politik der KPD zurückführen. Natürlich kann die KPD nicht kritisiert werden, weil sie mit revolutionären Zielen handelte, sondern weil sie nicht ausreichend vorbereitet war und sich nicht effektiv einsetzen konnte.

Faschismus ist in jedem Fall Antikommunismus, und in diesem Sinne birgt jeder revolutionäre Aufschwung die Gefahr einer Konterrevolution in sich. Eine greifbare Bedrohung durch den Sozialismus ist jedoch keineswegs notwendig, damit die Bourgeoisie die Freiheiten einschränkt. Phänomene wie zunehmende Repression, Kriege und Faschismus sind das Produkt der Krisendynamik des Kapitalismus. In diesem Zusammenhang ist es denkbar, dass die Bourgeoisie zur Bewältigung der sozialen Unzufriedenheit (auch ohne revolutionäre Tendenz) den Geltungsbereich der bürgerlichen Demokratie einschränken oder sie sogar ganz abschaffen will.

Auf jeden Fall können Kommunisten nicht mit der Strategie agieren, die Bourgeoisie nicht zu verschrecken! Das richtige Timing, keine voreiligen und leeren Schritte zu machen, das Gleichgewicht der Kräfte gut zu berechnen sind wichtig, aber wir werden die Revolution nicht aufgeben, um die „Demokratie“ zu retten.

Auf jeden Fall kann ein revolutionärer Aufstand nicht unsere strategische Entscheidung sein. Er ist eine objektive Tatsache. Es ist unsere Entscheidung und unsere Pflicht, diesen Aufstand zum Sozialismus zu führen. Sich dieser Aufgabe zu entziehen, bedeutet nicht nur, eine historische Chance zu verpassen, sondern es kann auch bedeuten, dem Faschismus den Weg zu ebnen.

Die TKP lehnt den Ansatz „Zuerst soll Demokratie in die Türkei kommen“ ab. Welche Demokratie? Was ist Demokratie? Die TKP behält sich das Recht vor, Fragen wie diese zu stellen. Und, was noch wichtiger ist, sie ist der Meinung, dass der Kampf für die Demokratie nur dann einen Sinn hat, wenn er vom Ziel des Sozialismus abhängt und eine Erweiterung desselben ist. Wir geben niemals unsere These auf, dass eine entwickelte und stabile „bürgerliche Demokratie“ nicht der Befreiung der Türkei aus der Hölle des Kapitalismus dienen wird, sondern im Gegenteil die Ordnung noch mehr schützt.

Gut, dass dies unmöglich ist. Gut, dass sich die Barbarei, die sich Kapitalismus nennt, in der Türkei nicht normalisieren kann und ständig in Schwierigkeiten steckt.

Das ist unser Ansatz. Deshalb, Genossinnen und Genossen, fragt uns nicht: „Glaubt ihr wirklich an die sozialistische Revolution in der Türkei“. Die Frage „Was tut ihr heute für die sozialistische Revolution?“ wird uns mehr begeistern, und wir werden in unseren Diskussionen auf dieser Ebene mehr voneinander lernen.

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* Dieser Artikel wurde auf dem 23. Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien im Oktober 2023 präsentiert und an befreundete und schwesterliche Parteien verschickt.

Türkiye ve Sosyalist Devrim: Bir Hayalin mi Peşindeyiz?

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